Buchkritik -- Marie-Luise Wolff -- Die Anbetung

Umschlagfoto, Buchkritik, Marie-Luise Wolff, Die Anbetung, InKulturA Es gibt kaum einen Politiker, der mangels echten Wissens um das Thema nicht von der notwendigen und stetig zu forcierenden Digitalisierung schwafelt, da ansonsten, verschlafe man die Entwicklung, der Abstieg Deutschlands bevorstehe.

Doch blicken wir uns einmal um. Was sehen wir? Menschen, egal ob in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf den Straßen, in den Parks und Grünanlagen, in Restaurants und Bars, alle starren wie gebannt auf ihre digitalen Geräte. Ob bei Tische, an der Theke oder sogar bei sich gerade vermählenden Paaren, die Smartphones sind immer in Reichweite und nicht selten werden ohnehin rare verbale Kommunikationen durch den im Minutentakt stattfindenden Griff zur Suchtmaschine unterbrochen.

Das Leben der meisten Zeitgenossen besteht, wie es Marie-Luise Wolff vollkommen zu Recht ausdrückt, nicht aus zu wenig Digitalisierung, sondern, im Gegenteil, es leidet unter deren Übermaß. Wie Zombies starren sie auf die kleinen Bildschirme, digitale Junkies auf der Suche nach, ja nach was eigentlich? News, Fun und lustige Katzenbilder? Dramatisch ausgeleuchtet Selfies mit der gerade verspeisten Currywurst oder des eben genossenen Döners?

Digitalisierung ist Lifestyle geworden, der mit Versprechen wie „Gratis“ und „sofortige Verfügbarkeit“ den hinter den Kulissen die Fäden ziehenden Unternehmen permanenten Zugriff auf noch die persönlichsten Daten ermöglicht.

Wo vor Jahren, vor vielen Jahren noch – kaum einer dürfte sich noch daran erinnern – die Devise „Brennholz gegen Kartoffelschalen“, also der Tausch oder Handel mit handfesten Dingen die Regel war, wird heute mit dem Abziehen individueller Daten Umsatz gemacht. Die Realwirtschaft mit ihren zu greifenden Produkten hat gegen den Handel mit Informationen, die neue digitale Währung, keine Chancen mehr.

Dabei, auch das bleibt im Fokus der Autorin, begeben sich die Menschen freiwillig in die Falle derjenigen Konzerne, deren Algorithmen aufgrund der gesammelten Informationen bereits heute zu wissen glauben, was ihre Kunden morgen brauchen und auch bestellen werden.

Es ist keine schöne neue Welt, denn die digitalen Verheißungen haben einen hohen Preis. Vereinzelung und Kommunikationsabbrüche bis zu Sucht ähnlichem Verhalten der „User“, denen allein der Gedanke digitaler Abstinenz das Zittern bringt.

Die Autorin betreibt kein blindes Digitalbashing und will auch nicht zurück zur „Tafel und Kreide“ Zeit, doch sie plädiert für Wachsamkeit und Kontrolle gegenüber den neuen digitalen Monopolisten wie Amazon, Google, Facebook und Apple, die längst dabei sind, aus dem Bürger einen gläsernen User zu machen, der, man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dies auch noch freiwillig unterstützt.

„Das soziale, das kulturelle und auch das wirtschaftliche Leben werden mit und nach den Eingriffen der digitalen Konzerne ärmer sein. Wir können und sollten uns dieser Eingriffe deutlich erwehren.“ Diesen Sätzen von Marie-Luise Wolff kann man nur zustimmen und gegensteuern.

Wer immer wieder behauptet, wir brauchen mehr Digitalisierung, ist entweder ein Dummkopf oder ein Agent der großen Vier.




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Veröffentlicht am 8. Oktober 2020