Buchkritik -- Hanjo Lehmann -- Die Truhen des Arcimboldo

Umschlagfoto  -- Hanjo Lehmann  --  Die Truhen des Arcimboldo Seit dem Roman "Der Name der Rose" von Umberto Ecco haben historische Sujets Konjunktur. So auch in Hanjo Lehmanns "Die Truhen des Arcimboldo". Dieser Roman besteht aus einer Erzählung in einer Erzählung in einer Erzählung.

Der Autor bekommt im Jahr 1993 ein mysteriöses Päckchen in die Hände, in dem ein Ingenieur, Heinrich Wilhelm Lehmann, sein Tagebuch aus dem Jahr 1869 verpackt hat. In diesem Tagebuch erzählt er wiederum die Geschichte eines Freundes, Luigi Calandrelli, der bei Arbeiten in den vatikanischen Kellern 1848 verschüttet wurde, seinerseits eine Truhe fand, in der die Aufzeichnungen eines vierten Erzählers aus dem Jahr 1309, Arcimboldo de Segurmont, lagen, der nun wiederum auf die Aufzeichnungen des Gottfried von Bouillon aus dem Jahr 1099 verwies, welcher die Originale eines bisher unbekannten Evangeliums besaß, deren Veröffentlichung im Jahr 1870 die Existenz der katholischen Kirche in Frage stellen würde. Dies zu einem Zeitpunkt, als ein Konzil damit beschäftigt war, die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma zu erheben. Zwischen den einzelnen Kapiteln fügte der Autor Zeitungsartikel aus den Jahren 1868 - 1870 ein. Sie sollen wohl den damals erbittert geführten Kampf zwischen Glauben und Wissenschaft wiederspiegeln und enden mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71.

Die Wege der Herren Lehmann und Calandrelli sind vielfältig miteinander verwoben. Calandrelli schwängert eine Nonne, die mit einem anderen Mann und den besagten Manuskripten verschwindet. Lehmann selbst verliebt sich in die Tochter der Nonne, welche im Jahr 1869 die schon erwähnten 12 Millionen Dollar für die Dokumente verlangt, um ein Krankenhaus zu eröffnen.

Welch ein Thema! Welche Möglichkeiten! Welch ein grandioser Hintergrund für einen guten Roman. Doch, um es gleich zu sagen, diese Möglichkeiten wurden leider nicht genutzt.

Der Roman führt auf den meisten Seiten ausschließlich die erotische, sadistisch-masochistische Selbstfindung der Herren Lehmann und Caladrelli vor. Zweifellos gut beschrieben, aber eben doch nicht adäquat der Möglichkeiten, die dieses Thema geboten hat. Das Erzähltempo des Romans fällt im letzten Drittel rapide ab und es macht den Eindruck, als wollte der Autor sein Werk so schnell wie möglich beenden. War am Anfang von einem Kampf gegen die Institution Kirche die Rede, so ging es zum Schluß nur noch um 12 Millionen Dollar für die Übergabe des brisanten Materials. Die übergebenen Dokumente wurden natürlich von der Kirche, die in ihnen eine Gefahr für die herrschende Lehre sah, verbrannt.

Die Möglichkeit der Fiktion, die gerade die literarischen Form des Romans bietet wurde hier leider nicht genutzt. Zu sehr ist das Werk an die geschichtliche Realität gebunden. Was wäre gewesen, wenn die Dokumente zu dem brisanten Zeitpunkt des Unfehlbarkeitskonzils veröffentlicht worden wären? Welche Kontroverse hätte sich entwickelt? Würde die institutionalisierte Kirche weiterhin Bestand gehabt haben? Welche Intrigen hätte der Vatikan gemacht? All diese Fragen hätte der Roman auf fiktive Art erzählen und beantworten können.

Herausgekommen ist jedoch leider nur die vordergründige Geschichte zweier am Leben gescheiterter Menschen. Lehmann und Calandrelli konnten die sich ihnen bietende einmalige Chance nicht nutzen, wirkliche Veränderungen herbeizuführen.

Dem Autor gelingt es nicht, das individuelle Schicksal der beiden zu abstrahieren, um eine der Möglichkeit nach vorhandene Fiktion zu erfinden. Das Thema Kirche, Glauben und Christentum hätte eine bessere Umsetzung verdient.




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