Buchkritik -- Gabriel Rath -- Brexitannia

Umschlagfoto, Buchkritik, Gabriel Rath, Brexitannia, InKulturA Als das Ergebnis des Referendums am 23. Juli 2016 über den mögliche Austritt des Vereinigten Königreichs feststand, in dem eine Mehrheit der Wähler für eben diesen Austritt stimmte, ging ein Beben durch das politische Europa. Das Nichtdenkbare war Wirklichkeit geworden und das politische Establishment Brüssels war geschockt und sprachlos.

Mit diesem Ergebnis hatten sogar die Befürworter des Brexit nicht gerechnet. Doch so überraschend, wie es das Wahlergebnis vermuten lässt, fiel die Entscheidung der Briten nicht aus, denn der Brexit hat eine lange Vorgeschichte, die Gabriel Rath in seinem Buch "Brexitannia." nachzeichnet.

Von Anfang an war das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU die, wie der Untertitel es Buches es formuliert, "Geschichte einer Entfremdung", die historisch-politisch viele Ursachen hatte und die über viele Jahre vonseiten der britischen Eliten, die sich gern in persönlicher Nabelschau gefielen und damit eine große Distanz zwischen sich und dem Rest der Bevölkerung schufen, ignoriert wurden.

So schreibt der Autor vollkommen richtig, "Der Brexit war eine Konsequenz aus dem Versagen der Eliten, den Unsicherheiten aus den Veränderungen der Globalisierung, dem Zurücklassen eines Teils der Gesellschaft, einem wachsenden kulturellen Graben, dem Auseinanderfallen der Werte, der Überforderung durch zu viel Einwanderung in zu kurzer Zeit, dem Versäumnis der Verwandlung von Ignoranz in Akzeptanz. Der Brexit war zugleich Ausdruck einer Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es nie gegeben hat, und einem Traumland, das es nie geben wird."

Der Ausgang des Referendums hat dann auch gezeigt, dass es ein "Wir gegen Die" Ausdruck gewesen ist und dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes die Lebenweise in den urbanen Zentren, besonders die der Metropole London für allgemeingültig hielt und sich damit, in vollkommen falscher Einschätzung der realen gesellschaftlichen Situation, von einer Mehrheit der Bürger abgewandt haben.

So waren die eigentlichen Profiteure der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens diejenigen, denen es zupass kam, preiswerte Arbeitskräfte, vorwiegend aus osteuropäischen Ländern, im Haushalt oder im Dienstleitungsgewerbe zu beschäftigen. Dass dadurch gesellschaftliche Ressentiments entstehen und bedient werden, konnte sich eine mehr oder weniger selbstreferentielle Elite nicht vorstellen.

Die politischen Manipulationen unter der Regierung Blair, die Großbritannien an die Seite der USA in den Irak-Krieg geführt haben, die Finanzkrise von 2008 und der Spesenskandal im Mai 2009 führten den Bürgern vor Augen, dass sich das System in den Händen einer korrupten und auf den eigenen Vorteil bedachten und selbst ernannten Elite befand. Somit ist der Ausgang des Referendums auch als Abrechnung mit einer Politik zu betrachten, von der sich eine Mehrheit der Bürger nicht mehr vertreten fühlte.

Obwohl Gabriel Rath die Entscheidung für den Brexit als falsch, für politisch und wirtschaftlich als fatal für die weitere Entwicklung Großbritanniens betrachtet, ist sein Buch, im Gegensatz zu mancher Publikation hierzulande, überaus fair. So schreibt er bezüglich der Einwanderung von Billigarbeitskräften aus Osteuropa "Es entstanden Unbehagen, Ängste und Ablehnung. Die politischen Eliten wollten oder konnten davon nichts hören."

Und wenn, wie er betont, Großbritannien "mit mehr als 80.000 Seiten gesetzlicher Bestimmungen, die vom Binnenmarkt bis zur Forschungszusammenarbeit reichen" mit der EU verknüpft ist, darf es nicht verwundern, wenn ein großer Teil der Briten sich aus Brüssel und nicht mehr aus London regiert fühlt.

Ob, wie der Autor es prognostiziert, die Herauswahl aus "dem gemeinsamen europäischen Haus" das Land lange belasten wird und "ein großes Land kleiner, enger und ärmer gemacht" hat, wird die allerdings erst die Zukunft zeigen.




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Veröffentlicht am 6. November 2016