Buchkritik -- Ludwig Lewisohn -- Der Fall Crump

Umschlagfoto  -- Ludwig Lewisohn  --  Der Fall Crump "Szenen einer Ehe", so könnte man den bereits im Jahr 1926 erschienenen und aktuell vom kleinen aber feinen, auf literarische Kostbarkeiten spezialisierten Secession Verlag neu herausgegebenen Roman Der Fall Crump von Ludwig Lewisohn verkürzt beschreiben. Es ist die Geschichte von zwei Menschen, wie sie verschiedener nicht sein könnten. Anne Bronson, zweimal verheiratet, Mutter von drei Kindern und Herbert Crump, Sohn deutschsprachiger Einwanderer aus Europa.

Anne, eine mit allen Wassern gewaschene, stets auf ihren Vorteil bedachte Frau, der es zudem an jeglicher Fähigkeit einen Haushalt zu führen fehlt, trifft in New York auf Herbert, einem musisch begabten, von seinen Eltern sorgsam behüteten und nach deutschen Ehr- und Pflichtbewusstsein erzogenen jungen Mann. Der Altersunterschied zwischen Anne und Herbert beträgt fast zwanzig Jahre und deshalb fühlt sich der unerfahrene junge Mann mehr als geschmeichelt, als ihm von ihr deutliche sexuelle Avancen gemacht werden.

Was Herbert zu Beginn noch unter dem jugendlich-männlichen Stolz eine reifere Frau verführt zu haben verstanden hat, entwickelt sich bald für ihn mit rasender Geschwindigkeit zum Beginn eines langjährigen Martyriums. Anne lässt sich von ihrem zweiten Ehemann scheiden und erreicht es, dass Herbert sie wider besseres Wissen und trotz zunehmender Abneigung ehelicht.

Herberts zu Beginn der Ehe geringe Einkünfte als Komponist und Musiklehrer reichen bei Weitem nicht aus, um den Bedürfnissen seiner Frau, zu der auch noch die der ihrer drei Kinder kommen, gerecht zu werden. Erschwerend kommt die Eifersucht und ein vollkommen inakzeptabel ausgelebtes gesellschaftliches Auftreten hinzu. Je größer sein Erfolg als Komponist wird, desto mehr ist Anne bestrebt ihn, unter Zuhilfenahme aller Mittel, an sich zu binden. Sie, die intellektuell und moralisch weit unter ihm steht, spielt trotzdem geschickt die herrschenden gesellschaftlichen Moralvorstellungen gegen ihn aus. Herbert durchschaut zwar die Mechanismen seiner Vernichtung, doch es gelingt ihn nicht, sich erfolgreich dagegen zu wehren. Bereits sehr früh deutet sich die schließlich eintretende Katastrophe an.

Ludwig Lewisohn hat einen Roman geschrieben, der nur vordergründig wie ein Beziehungsdrama daherkommt. Es ist auch und vielmehr eine Gegenüberstellung, besser gesagt, ein Kampf zwischen dem Individuum und der Gesellschaft auf der einen Seite und der immerwährenden Auseinandersetzung differenter moralischer Positionen auf der anderen. Der Autor lässt in Gestalt von Herbert und Anne zwei entgegengesetzte Lebensentwürfe aufeinanderprallen. Herbert, von seinen Eltern in europäischem Geist - pflichtbewusst, treu und solide - erzogen, zudem aufgrund dessen ein etwas weltfremder Künstler und Anne, deren Herkunft geprägt wurde von chaotischen Familienverhältnissen und finanziellen Problemen.

Wenn der Autor schreibt, "Herbert...begann tatsächlich für möglich zu halten, dass Abstammung, Bildung, soziale Herkunft und die daraus resultierenden Gewohnheiten eng mit der Qualität der Seele und der mit ihr einhergehenden Lebensführung verbunden waren", dann liegt genau hier der Schlüssel zum Verständnis des Romans. Nicht so sehr die ehelichen Kämpfe, auch wenn sie von Lewisohn drastisch und für den Leser in ihrer Dauer und der perpetuierenden Intensität kaum zu ertragen beschrieben werden, sind der wesentliche Aspekt dieses Romans, sondern die sich gegenseitig ausschließenden moralischen Positionen.

Beide, Anne und Herbert, sind aufgrund ihrer persönlichen Disposition, sei sie der Erziehung, der Herkunft oder dem Milieu geschuldet, nicht dazu in der Lage, ihr Handeln bewusst zu steuern. Sie sind in Wahrheit Getriebene ihrer eigenen Sozialisation. In dieser Hinsicht macht es dann auch keinen Unterschied, wenn der Leser wohl eher mit Herbert, als mit Anne sympathisiert. Dass das gesellschaftliche Umfeld bei einer Trennung zugunsten von Anne Position ergreifen würde, ist Herbert klar und verschließt ihm gänzlich die Möglichkeit, dem Schrecken seiner Ehe ein vernünftiges Ende zu setzen.

Die scheinbar moralisch überlegene Position ist in Wahrheit die schwächere. Anne ist vitaler als Herbert. Sein permanentes Zaudern an seinen, für ihn mehr als belastenden Lebensumständen eine Veränderung zu unternehmen, ist seinen moralischen Reflexionen geschuldet. Lebensfähiger wird er dadurch jedoch nicht. Sein Scheitern resultiert aus einer ethischen Sprachlosigkeit gegenüber der harten Realität. Schmerzhaft muss er erkennen, dass es zwischen ihm und Anne, zwischen Moral und Wirklichkeit, keine gemeinsame Basis geben kann.

Abstrahiert man von der von Lewisohn eindringlich erzählten Beziehungsebene auf eine gesellschaftlich-politische, dann drängt sich die heutige Aktualität des Romans förmlich auf. Moral und gesellschaftliche Realität, feste ethische Positionen und politische Wirklichkeiten sind konträrer als jemals zuvor. Die Möglichkeiten der Verständigung sind bestenfalls als eingeschränkt zu bezeichnen. Trotz Informationsfülle nimmt die Sprach- und Verständnislosigkeit der Beteiligten zu. Der Roman ist bedrückend modern.




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