Buchkritik -- Franz Winter -- Die Verblendeten

Umschlagfoto, Buchkritik, Franz Winter, Die Verblendeten , InKulturA Seit dem 10. April 1919 und dem Adelsaufhebungsgesetz ist für die Familien Bühl, Altenwyl und Hechingen vieles anders und trotzdem bleibt so manches gleich. Titel, und viel schwerwiegender, dem damit untrennbar verbundenen Selbstverständnis verlustig gegangen, musste sich die bisherige gesellschaftliche Elite neu definieren.

„Die Verblendeten“ ist, wie der Vorgängerroman „Die Schwierigen“ das Porträt einer Klasse, die sich im Besitz einer, sagen wir Ewigkeitsgarantie wähnte, die sich spätestens mit dem Ende des Ersten Weltkriegs als Illusion erwies. Es gilt jetzt, sich mit den gesellschaftliche und politischen Veränderungen zu arrangieren, um, als der nationalsozialistische Geist in Österreich an Einfluss gewinnt, doch nur wieder von der Möglichkeit der Wiederherstellung ehemaliger Privilegien zu phantasieren.

Wie immer in Zeiten des Umbruchs, gibt es die, die versuchen sich in den neuen Gegebenheiten einzurichten und diejenigen, deren Ressentiments der neuen Ära gegenüber zu groß sind und die sich deshalb gerne auf die Seite der braunen Machthaber stellen, in der Hoffnung, ehemalige Zustände restaurieren zu können. So schließt sich z. B. Stani, der Neffe von Hans Karl Bühl, schnell den neuen Herren an, im Glauben daran, deren politische Führung beeinflussen zu können.

Franz Winter erzählt einmal mehr mit sprachlicher Eleganz – an deren österreichischem Idiom der Leser sich erst gewöhnen muss – von Wegen und Irrwegen eine Klasse, die sich zwischen den Mahlsteinen Republikanismus und Nationalsozialismus aufgerieben fühlt. Es sind die Frauen, z. B. Helene Bühl und Leonie, ihre 18-jährige Tochter, denen die Anpassung am besten gelingt. Während erstere nach der Flucht nach London bemüht ist, mit tatkräftiger Unterstützung des ehemaligen Geliebten ihrer Mutter, so viel jüdischen Bürgern wie möglich die Ausreise aus Österreich zu ermöglichen, bleibt ihre Tochter bewusst in Wien zurück, um sich dort auf ihre Weise dem System entgegenzustellen.

„Die Verblendeten“ ist kein literarisch erhobener Zeigefinger, sondern die stimmige und atmosphärisch dichte Darstellung menschlichen, oft auch all zu menschlichen Verhaltens angesichts dramatischer politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen.




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Veröffentlicht am 28. Juli 2019