Buchkritik -- Greg Iles -- Verratenes Land

Umschlagfoto, Buchkritik, Greg Iles, Verratenes Land, InKulturA Marshall McEwan hätte sich nie träumen lassen, einmal nach Bienville, einer Südstaatenstadt am Mississippi zurückzukehren. Der erfolgreiche Journalist, Pulitzerpreisträger, und seit Jahren in Washington lebend, dort immer seine Kontakte zu den Mächtigen und Reichen pflegend, kommt nach 30 Jahren in seine Heimatstadt zurück, um seiner Mutter bei der Pflege seines kranken Vaters, dem Herausgeber einer hoch verschuldeten Lokalzeitung, zu helfen.

Das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Bienville wird seit den Tagen des Bürgerkriegs vom sog. Poker-Club bestimmt, dessen Angehörige die dollarstarken und einflussreichen Honoratioren der Stadt sind. Wie in allen Städten des US-amerikanischen Südens spüren auch hier die Bürger die Folgen des wirtschaftlichen Abschwungs und die Rezession sorgt für Arbeitslosigkeit, in deren Folge Kriminalität und Drogensucht zu Alltagserscheinungen werden.

Als Investoren aus China beschließen, in dieser Stadt eine große Fabrik zu bauen, auf dem dafür geplanten Gelände jedoch Artefakte einer alten Kultur gefunden werden, ist das Projekt, sollten die Ergebnisse der Grabungen öffentlich bekannt werden, zum Scheitern verurteilt. Der Archäologe Buck Ferris, der Ziehvater McEwans, wird bei einer nächtlichen Ausgrabung erwischt und getötet, dessen Tod von der Polizei jedoch als Unfall deklariert und aus diesem Grund unternimmt Marshall McEwan eigene Recherchen und bald darauf befindet er sich in einem Kampf um sein Leben, denn der Bienville Pokerclub fürchtet um seine zukünftigen Gewinne.

Greg Iles erzählt ein Südstaaten-Epos, das sich mit fast 900 Seiten die Zeit nimmt, mit vielen Rückblenden – McEwan erzählt aus der Ich-Perspektive – die Entwicklungen seiner Charaktere und deren Verwicklungen und gegenseitigen Abhängigkeiten in der Gegenwart. „Verratenes Land“ lebt von den Dialogen der Figuren, die, jede auf ihre Weise gefangen in den Umständen, bis auf wenige Ausnahmen tief von der Mentalität US-amerikanischer Südstaaten geprägt sind.

Der Autor beschreibt eindringlich, dass, wie immer bei Projekten, die in Regionen realisiert werden sollen, in denen die Arbeitslosigkeit hoch und das Korruptionspotenzial noch höher ist, moralische Standards ins Wanken geraten. Das merkt auch McEwan, zumal er seinen Pulitzerpreis nicht zuletzt dadurch erhalten hat, weil der die Wahrheit über die Handlungen seines Freundes während einer dramatischen Aktion im Irak verschwiegen hat.

Iles präsentiert ein gewaltiges Panorama menschlicher Abgründe und niemand kommt am Ende integer aus den Konflikten heraus. Immer wieder ist es die Vergangenheit, die die Gegenwart prägt und die Handlungen der Figuren bestimmt. Eine nach der anderen, immer gemischt mit „Crime and Sex“ arbeitet der Autor die großen Themen ab. Liebe, Freundschaft, Familie, Vater-Sohn Konflikte, Krieg und die daraus resultierenden Traumata, Verrat, Integrität und die mitunter schmerzliche Erkenntnis eigenen Scheiterns an den für unumstößlich gehaltenen individuellen moralischen Standards.

„Verratenes Land“ ist nicht nur eine spannende Familiensaga, sondern auch ein eindrucksvolles Sittengemälde des US-amerikanischen Südens, dessen Oberschicht teilweise noch immer in den politischen Strukturen und Vorstellungen der Vergangenheit gefangen ist.




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Veröffentlicht am 13. Oktober 2019