Buchkritik -- Markku Kivinen -- Betongötter

Umschlagfoto, Markku Kivinen, Betongötter, InKulturA Ideologie manifestiert sich nicht zuletzt in architektonischen Plänen, die, wenn sie denn umgesetzt werden, gesellschaftliche Zustände provozieren, die aus den politischen Ambitionen einen Mikrokosmos sozialer Verwerfungen schaffen. Gerade in den 60er und 70er Jahren schossen in vielen europäischen Großstädten ehrgeizige und als Ausdruck gesellschaftlich-politischer Utopien konzipierte Reißbrettstädte aus dem Boden, deren soziale und gesellschaftliche Realität sich bereits unmittelbar nach ihrer Fertigstellung weit vom politisch-utopischen Konzept der sozialen Mischung entfernt hat.

In dem bereits 2009 in Finnland erschienenen Roman "Betongötter" läßt Markku Kivinen fünf junge Menschen ihre Lebenswelt in Tapiola, einer dieser Reißbrettstädte, schildern. Die als grüne Mustersiedlung am Rande von Espoo, der Zwillingsstadt Helsinkis, geplant, war aufgrund der modernen Hochhausarchitektur und der angestrebten sozialen Mischung der Bewohner ein Paradebeispiel für die Sozialutopie der damaligen Zeit.

Hier leben die fünf Menschen, deren Alltag Kivinen beschreibt. Da ist Pena, politisch engagiert und später zum Kader der neuen Linken gehörend. Kojote, der aggressive Sohn eines Bauern aus der Umgebung, landet im Gefängnis. Stockfisch, der Sohn aus gutbürgerlicher Familie, handelt mit Drogen, die zum Tod eines Abhängigen führen. Mirja-Liisa, tief religiös, ist eine junge Lehrerin, die von einem Schüler schwanger wird. Ein namenloses "Ich" bildet erzählerisch die Ausnahme, da dessen vernünftige Stimme die verschiedenen Fäden zusammenführt und dessen konzentrierte Bemühung, diesem Ort Sinn und Bedeutung zu verleihen, dem Roman ein konstantes literarisches Ostinato verschafft.

Markku Kivinen läßt den Leser spüren, dass seine eigentliche Profession die eines Soziologen ist. Seine Protagonisten leben in unterschiedlichen gesellschaftlichen Realitäten und haben dementsprechend jeweils einen individuellen Sprachcode, der, geschuldet der restriktiven Wahrnehmung ihrer eigenen gelebten Wirklichkeit, ausschließlich einen kleinen Teil ihrer Lebenswelt darstellt.

Zwar überschneiden sich die Lebenswege, doch aufgrund der unterschiedlichen Wahrnehmung ihrer individuellen Geschichtlichkeit leben sie im Grunde in Parallelwelten, die, außer räumlicher Überschneidung keine Gemeinsamkeiten aufweisen.

"Betongötter" läßt einen Teil der Nachkriegsjahre Finnlands Revue passieren, die, taumelnd zwischen enger protestantischer Religiosität, der überaus starken Bindung an Russland, deutsche Politiker sprachen damals von der "Finnlandisierung" dieses skandinavischen Staates, und dem Demokratiedefizit unter der Regierung Kekkonen, den Lesern die neuere Sozialgeschichte dieses nordeuropäischen Landes vor Augen führt.




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Veröffentlicht am 12. Oktober 2014