Buchkritik -- Yann Martel -- Die Hohen Berge Portugals

Umschlagfoto, Buchkritik, Yann Martel, Die Hohen Berge Portugals , InKulturA Liebe, Tod und Vergänglichkeit. Darum kreisen die drei miteinander verwobenen Geschichten, die eines gemeinsam haben: sie sind die, manchmal mystisch aufgeladenen, Folgen eines geheimnisvollen Kunstwerks, ein Kruzifix, aus der Hand eines Priesters, Pater Ulisses, der während der Jahre 1631 und 1635 ein Tagebuch führte, dessen Fund den jungen Tomás zu einer Expedition in die Hohen Berge Portugals, eine nur spärlich besiedelte und arme Region, führt, um das Abbild des Gekreuzigten zu finden.

Seit dem Tod seiner Frau und seines Sohnes ist er ein Suchender, dessen Leben, so sieht er es, mit dem Ableben der geliebten Menschen ohne Grund weitergeht. Martel erzählt die Suche des Tomás, dessen Onkel ihn mit einem im Jahr 1904 seltenen Automobil auf die Reise schickt, mit technologieskeptischer Diktion, denn immer wieder droht Tomás an der Technik zu scheitern. So ist es folgerichtig, dass zum Ende seiner Suche eine von ihm unverschuldete Katastrophe eintritt, die ihn, zusammen mit den Anblick des Kruzifixes von Pater Ulisses in den Wahnsinn treiben wird.

Die zweite Geschichte, 1938 spielend und vom Schicksal des Pathologen Eusebios erzählend, ist geprägt von einer latenten Melancholie, die sich erst vollkommen präsentiert, wenn Martel den Vorhang zwischen Realität und Einbildung zerreißt und Eusebios die Sinnlosigkeit des Todes und bezugnehmend darauf auch die des Lebens, erfahren lässt, der die Grausamkeit des Endlichen nur durch die Flucht in den Irrsinn ertragen kann.

Auch in der dritten Geschichte ist es eine Rückkehr, von der Yann Martel erzählt und die radikaler ist, als die beiden vorangegangenen, wird doch der Fortschritt des angeblichen Ebenbildes Gottes negiert und der Mensch zurückgeworfen auf seine evolutionäre Vorstufe. Peter, ein 60jähriger Mann muss der Verlust seiner Frau, die einem schweren Leiden erlag, verkraften. Dabei hilft ihm ausgerechnet ein Affe, mit dem er zusammen nach Europa, in die Heimat seiner Vorfahren, nach Portugal reist.

Martel thematisiert die Rückkehr wörtlich nehmend. Zwei seiner Protagonisten - Tomás seit dem Tod von Frau und Kind, Peter nach seiner Heimkehr nach Portugal - bewegen sich rückwärts durch die Welt und damit gegen den Strom der Zeit, von dem wir alle annehmen, dass er uns Fortschritt und Zukunft gibt. Dem entgegen lauten die Kapitel "Heimatlos", "Heimwärts" und "Heimat", den langen Weg des Menschen zurück in die Bedeutungslosigkeit skizzierend.

"Die Hohen Berge Portugals" ist ein Buch voller Schwermut und Trauer darüber, dass es dem Menschen auf ewig verwehrt ist, Glück erleben zu dürfen. Stets droht der Verlust der geliebten Menschen und die Sprachlosigkeit angesichts dieser existentiellen Beleidigung des Individuums. So ist es nur logisch, wenn auch Peter in eine vorsprachliche Phase depraviert und erst in diesem Moment die Bedeutung des Daseins erfährt.

Gleichzeitig philosophisch und spirituell hat der Mensch als Ebenbild Gottes ausgespielt und diese Vorstellung erweist sich als eine schmerzhafte Illusion. Pater Ulisses und sein Kruzifix liegen näher an der Realität als es Tomás, Eusebios und Peter - und wir alle - wahrhaben wollen.




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Veröffentlicht am 17. Juli 2016