Buchkritik -- Eyal Megged -- Unter den Lebenden

Umschlagfoto, Eyal Megged, Unter den Lebenden, InKulturA Der Tod eines nahestehenden Menschen ist ein existentieller Einschnitt in das Leben desjenigen, der ihn erleben, ja erleiden muss. Dieser Verlust bewirkt mit dramatischer Unausweichlichkeit den Rekurs auf ein Dagewesenes, das jetzt nur noch in der Vergangenheitsform vorhanden ist.

Eyal Megged erzählt in seinem Buch "Unter den Lebenden" von diesem Bruch im Leben eines Hinterbliebenen, der ihn mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert und, auf dramatische Weise, sein Leben und seine Beziehung zum Verstorbenen Revue passieren lässt.

Boas Masor ist nach einer Krebserkrankung gestorben. Sein Freund, Chirurg in einem Jerusalemer Krankenhaus, versucht mit dieser Tatsache zu leben und beginnt seine Freundschaft zu diesem, ihm grundverschiedenen Menschen zu reflektieren.

Die Beziehung der beiden Männer war, trotz vieler Gemeinsamkeiten, nicht immer einfach. Der Icherzähler ist, im Gegensatz zu seinem verstorbenen Freund, ein skeptischer Beobachter menschlichen Daseins, der große Probleme mit dem hat, was gemeinhin unter Zwischenmenschlichkeit verstanden wird. Nur im Operationssaal vor den geöffneten Körpern der Patienten fühlt er sich vollkommen und Ganzheitlich.

Das Temperament seines Freundes Boas war dagegen so vollkommen anders, dass sich der Erzähler nicht nur einmal fragt, warum die Freundschaft überhaupt so lange, mit Unterbrechungen, währen konnte.

Eyal Megged beschreibt die Suche eines Mannes nach den flüchtigen Augenblicken des Lebens, die sich trotzdem tief in das Gedächtnis der Erzählers eingebrannt haben und der jetzt nach dem Tod seines besten und einzigen Freundes sein Leben einer unerbittlichen Prüfung unterzieht.

Es ist ein einsamer Mensch, der von Freundschaft, Liebe, Krankheit und Tod erzählt. Mit der aus seinem Erfolg als Chirurg resultierenden Arroganz baut er erfolgreich eine Barriere zwischen sich und seinen Kollegen auf, die auch im privaten Bereich für Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang verantwortlich ist. Zwei Ehen, in keiner von beiden findet er sein Glück, und für seine Kinder ein Fremder, lebt er nur noch für seinen Beruf. Seine Stellung als Chirurg wird jedoch wegen Differenzen mit dem Chefarzt zunehmend fragiler.

War sein Freund Boas ein lebenslustiger und das Dasein bejahender Mensch, so ist der Icherzähler ein verschlossener und fast nihilistischer Mensch, vor dessen Auge die wenigsten Zeitgenossen, schon gar keine Kollegen, als gleichwertig empfunden werden.

Da ist es schon von fast schmerzhafter Konsequenz, dass er nach dem Tod seines Freundes in ein existentielles Nichts fällt, dem er durch die Aufarbeitung der Entwicklung dieser Freundschaft zu entfliehen versucht. So wie er mit einem Skalpell die menschlichen Körper auf seinem Operationstisch öffnet, so seziert er schonungslos seine eigenen Befindlichkeiten, seine Schwächen und, wie er langsam erkennen muss, auch seine desolaten emotionalen Kompetenzen.

"Unter den Lebenden" ist ein Roman, der über die großen Themen menschlichen Daseins erzählt. Mit unaufdringlicher, niemals die Grenzen gefühlseliger Trivialität überschreitenden Diktion philosophiert der Icherzähler über Liebe, Tod und Freundschaft und die letzte, das Leben abschließende Frage. Würden wir, gäbe es denn diese Möglichkeit, unser Leben beim zweiten Mal anders gestalten oder sind wir die Gefangenen unseres Selbst?




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Veröffentlicht am 14. Juni 2015