Buchkritik -- Meinhard Miegel -- Hybris - Die überforderte Gesellschaft

Umschlagfoto, Meinhard Miegel, Hybris, Die überforderte Gesellschaft, InKulturA Hybris, in den Tragödien des antiken Griechenland der Grund des Scheiterns der zentralen Gestalten, ist das Verhalten, das durch den bewußten Verstoß gegen göttliche Gesetze und göttlichen Willen zum Zerfall gesellschaftlicher und politischer Institutionen führt. Es ist, modern ausgedrückt, das Festhalten am Handeln wider besseres Wissen, das, trotz offenkundigen Abgleitens ins Chaos, keiner kritischen und rationalen Bewertung mehr unterliegt.

Eben dieser Zustand, der sich nicht mehr an den tatsächlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten ausrichtet, sondern, verblendet von den scheinbar unendlichen Möglichkeiten individueller Entgrenzung, die immer mehr mit der Realität in Kontrast stehende Projekte und Pläne verwirklichen will, führt letztendlich zum Scheitern ganzer Gesellschaften.

Diesen drohenden Fehlschlag moderner menschlicher Ambitionen attestiert Meinhard Miegel den, wie er sie nennt, frühindustrialisierten Gesellschaften, die jedes Maß und Gespür für ihr verhängnisvolles Handeln verloren haben. Ob es ihr Umgang mit der Natur und den Ressourcen des Planeten ist oder deren hemmungsloser Konsum, der, oft auf Kosten anderer, wirtschaftlich nicht so weit entwickelter Gesellschaften stattfindet und hemmungslos die Sucht der Ersten Welt nach materiellen Dingen befriedigt, immer sind es diese frühindustrialisierten Gesellschaften, die sich anschicken, einen ganzen Planeten ins Unheil zu stürzen.

Miegels Buch "Hybris - Die überforderte Gesellschaft" listet die Probleme eines nach dem anderen auf. Es gibt kaum eine Aussage des Autors, der ernsthaft widersprochen werden kann. Ob es sich um die Fehlkonstruktion "Europäische Einheit" handelt oder um die bedenkenlose Jagd nach immer neuen und größeren wirtschaftliche und politischen Zielen, die Industrienationen der Welt bewegen sich unvermeidlich auf den Abgrund zu.

Die Stärke des Buches - die Auflistung der aktuellen Verfehlungen menschlichen Handelns - ist zugleich auf dessen große Schwäche. Natürlich hat Meinhard Miegel recht, wenn er den frühindustrialisierten Gesellschaften deren Verschwendungssucht vorwirft und ein baldiges, sollte kein Umdenken stattfinden, Ende mit Schrecken prophezeit. Doch das alles kommt dem Leser bereits bekannt vor, weil sich andere Autoren ebenfalls so ihre Gedanken um die Zukunft der Menschheit und des Planten gemacht haben.

Das schmälert nun keines falls die Leistung Miegels und es kann auch gar nicht oft genug betont werden, dass ein Umdenken in nahezu allen wirtschaftlich-politischen Paradigmen notwendig ist, will die Menschheit ihr Überleben sicherstellen.

Doch ob die von Meinhard Miegel geforderte individuelle "Besinnung auf das Wesentliche" funktioniert, darf doch bezweifelt werden. Obwohl er diese gar nicht so neue Tugend primär von den frühindustrialisierten Gesellschaften fordert, steht doch im Hintergrund auch die Forderung an die anderen, noch nicht von den "Segnungen" des kapitalistischen Geistes berührten Gesellschaften, auf Konsum zu verzichten, um sich anstelle dessen ebenfalls auf das "Wesentliche" zu besinnen.

Das ist ohne Frage gut gesprochen von Miegel, doch wer sollte aufstrebenden Ländern wie z. B. China oder Indien verbieten, genau den gleichen Lebens- und Verschwendungsstandard, den die westlichen Staaten seit Jahrzehnten demonstrieren, zu erreichen?

Und genau an dieser Stelle trifft die Argumentation des Autors ins Leere. Natürlich muss die menschliche Rasse, stellvertretend durch ihre Politiker, eine Änderung des Bewusstseins herbeiführen. Es ist eine Tatsache, und da ist dem Autor zuzustimmen, dass nach dem Verfall der christlichen Religion eine Selbstvergottung des Individuums stattgefunden hat, dessen Entgrenzung auf allen Gebieten menschlichen Handelns zu verhängnisvollen Fehlentwicklungen geführt hat.

Die Leere, die nach dem, um es mit Nietzsche auszudrücken "Tod Gottes" an die Stelle des christlichen Versprechens nach Heil und göttlicher Allumfassenheit getreten ist, wird kompensiert einerseits durch Konsum, andererseits durch die Megalomanie entgrenzter, aber ewig sinnsuchender Individuen.

Die neue Einfachheit, die Beschränkung auf das Wesentliche, nichts anderes fordert Meinhard Miegel in seinem Buch, ist durchaus nicht so neu, wie es den Anschein erweckt. In den vom linksgrünen Mainstream so verpönten und als Ausdruck rechtsextremer Gesinnung desavouierten "Preußischen Tugenden" wie Bescheidenheit, Fleiß, Selbstgenügsamkeit und generationenübergreifendes Denken wurde der mögliche Weg in eine bessere Zukunft bereits in der Vergangenheit gewählt. Der anglo-amerikanische "Way of Life", der längst seinen globalen Siegeszug gefeiert hat, ist jedenfalls ein Auslaufmodell - jedenfalls aus Sicht der frühindustrialisierten Gesellschaften. Ob das die Schwellenländer genauso sehen, ist mehr als fraglich.




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Veröffentlicht am 27. September 2014