Buchkritik -- Boris Palmer -- Wir können nicht allen helfen

Umschlagfoto, Buchkritik, Boris Palmer, Wir können nicht allen helfen, InKulturA Wenn Politiker Bücher schreiben, oder schreiben lassen, ist ob der Relevanz des Inhalts in der Regel Vorsicht angesagt. Das gilt für Volksvertreter jeglicher Couleur, am meisten jedoch für Vertreter der grünen Ideologie. Man kann solche Elaborate, was wiederum für Politiker aller Parteien gilt, getrost im Verkaufsregal stehen lassen und wird trotzdem keinen Mangel an Wissen verzeichnen können.

Wen jedoch ein Grüner ein Buch veröffentlicht und damit sogar bei seinen eigenen Parteigenossen Unwillen, Ablehnung oder gar blanken Hass provoziert, dann sollte der geneigte Leser über seinen Schatten springen und das Werk ruhig einmal zur Hand nehmen - und lesen.

Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister von Tübingen, hat seinen (Ironie an) Facebook-Account und die Reaktionen darauf (Ironie aus) in einem Buch über "Integration und die Grenzen der Belastbarkeit", so der Untertitel, veröffentlicht. "Wir können nicht allen helfen", so der den Unmut zahlreicher Grüner und anderer selbsternannter Weltretter erregende Titel, ist eine, angesichts praktizierter grüner Politik, beachtliche kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der von der Bundeskanzlerin initiierten totalen Grenzöffnung im Herbst 2015.

Gleich zu Beginn des Buches leider ein kleiner Wermutstropfen, denn auch Palmer, wie viele andere auch, definiert die erratische Handlung der Kanzlerin nicht als das, was sie war, ein Verstoß gegen geltendes Recht, sondern laviert etwas hilflos zwischen Ablehnung moralischer Gründe als politisches Leitmotiv auf der einen und der Zustimmung zum Angebot globaler Hilfen unmittelbar in Deutschland auf der anderen Seite.

Danach wird der Oberbürgermeister des beschaulichen Tübingen zum Glück etwas konkreter und weist auf die vielfach zu beobachtenden Missstände sowohl bei der Integration als auch auf das Totalversagen des Bundes bezüglich der notwendigen Leistungen für die unser Land betretenden "Asylbewerber" hin.

Palmer spricht viele offiziell gern verschwiegene Tatsachen an, kann und will jedoch nicht aus seiner grünen Haut heraus und die generelle Frage stellen, warum Deutschland den Retter der Welt spielen muss. Zwar bekennt er sich dazu, diejenigen, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, wieder in ihre Heimatländer zurückzuführen, hält jedoch generell die nach Deutschland drängenden "Flüchtlinge" für ein probates Mittel, um die Überalterung unseres Landes und das Problem des scheinbar daraus resultierenden Mangels an Arbeitskräften zu lösen. Leider erwähnt er nur mit wenigen Worten die mangelnde Bildung deren, die noch nicht so lange hier leben und die Tatsache, dass jedes Jahr tausende von Arbeitsplätzen, vorwiegend gering qualifizierte, wegfallen und aus diesem Grund auch für von uns geschulte "Flüchtlinge" wohl auf Dauer keine festen Beschäftigungsverhältnisse möglich sein werden.

Lobenswert ist dagegen sein Bemühen um eine Diskussionskultur, die dem politischen Gegner, in diesem Fall Kritiker der massenhaften Einwanderungsbemühungen vorwiegend junger muslimischer Männer aus dem islamischen Krisenbogen, nicht generell eine rechtsradikale Attitüde unterstellt, sondern eine, wie es in einem zivilisierten Land üblich sein sollte, ehrliche Bereitschaft zu einer sachlichen Auseinandersetzung fordert. Hört, hört! Davon sind seine Parteikollegen und alle anderen zu spät gekommenen Widerstandskämpfer weit entfernt.

Etwas merkwürdig ist sein permanentes verbales Eindreschen auf die AfD, die übrigens, das Buch erschien im August 2017, im Gegensatz zu Palmers wiederholter Aussage, keineswegs an Stimmen und Bedeutung verloren hat - Stichwort Bundestagswahl 2017 - und die mit vielen vom Autor getätigten Aussagen übereinstimmt.

Der Einsatz des Tübinger Bürgermeisters für die "Flüchtlinge" ist lobenswert und verdient ohne Zweifel Anerkennung. Immer unter dem Gesichtspunkt, dass es Einzelfälle sind, die in seinem beschaulichen Örtchen Vorbildcharakter besitzen, so ist es doch dem Bürger draußen im Rest der Republik wohl nur schwer zu vermitteln, dass jahrelang kein Geld für dringend benötigte Infrastrukturmaßnahmen vorhanden war, so das Mantra der Politik, und jetzt, quasi aus dem Nichts Milliarden Euro auftauchen, um die selbst verschuldete "Flüchtlingskrise" zu bewältigen.

Auch ist es mehr als verwunderlich, wenn Palmer darauf insistiert, dass es notwendig ist, bestimmte Vorschriften, Verfahren und Gesetze bezüglich der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften zu lockern. Jeder Eigenheimbesitzer, der z. B. eine Garage bauen will, weiß um die Tücken und Fallstricke der Bürokratie. Warum also soll es für "Flüchtlinge" eine Ausnahme geben? Genau dieser Punkt ist einer von vielen, die die Bürger gegenüber der aktuellen "Willkommenspolitik" misstrauisch machen.

Kein Wort auch, abgesehen von den Tübinger Einzelfällen, darüber dass Deutschland 3,5 Millionen arbeitslose Menschen hat, die keine Tätigkeit finden, die es ihnen ermöglicht, auch nur eine Wohnung zu finanzieren. Apropos Wohnung, auch kein Wort des Bürgermeisters darüber, dass in den letzten Jahren mit stillschweigender Zustimmung der Länder bezahlbarer Wohnraum vernichtet wurde und durch einen, die Investoren glücklich machenden Neubau ersetzt wurde.

Noch eine zweifelsohne provozierende Bemerkung zum Mikrokosmos Tübingen. Dort, so Palmer steht die Mehrheit der Bürger hinter seinen Bemühungen um eine regionale Lösung der Flüchtlingsproblematik. Das liberale Bürgertum, so nennt er es, bekennt sich zur Verantwortung für die hier noch nicht so lange Lebenden, was es mit dem urbanen, ebenfalls liberalen Bürgertum gemeinsam hat. Jede Wette, diese Klientel lebt direkt oder indirekt von Steuergeldern, muss sich also keine Sorgen um den Arbeitsplatz machen und wohnt natürlich weit weg, von den, wie sie im sozio-politischen Milieu euphemisiert werden, sozialen Brennpunkten.

Es ist ein zwiespältiges Buch, das Boris Palmer da geschrieben hat. Auf der einen Seite benennt der Autor klar die uns durch das verantwortungslose Handeln der Politik aufgezwungenen Probleme, auf der anderen Seite jedoch, man muss es so sagen, träumt der Autor davon, dass es uns, damit meint er Deutschland, gelingen wird, die meisten der mittlerweile mehr als eine Million - es werden jeden Monat mehr - Menschen in unserem Land zu integrieren. Na ja, Palmer ist eben doch durch und durch ein Grüner.




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Veröffentlicht am 12. November 2017