Buchkritik -- Rüdiger Safranski -- Zeit

Umschlagfoto, Rüdiger Safranski, Zeit, InKulturA Die Zeit ist eine merkwürdige Angelegenheit. Mal zieht sie sich schier endlos hin, warten wir denn auf einen geliebten Menschen, der einfach nicht pünktlich zur Verabredung erscheint. Ein anderes Mal vergeht sie, wenn wir beim Zahnarzt auf die Behandlung warten, mit großer Geschwindigkeit. Zeit ist, wir wissen es spätestens seit Albert Einstein, relativ.

Rüdiger Safranski hat den Versuch unternommen, sich dem Phänomen Zeit philosophisch und literarisch nähern, um diesem schillernden Begriff Konsistenz und Griffigkeit zu verleihen. Zeit bezieht sich, so der Autor, immer auf den Menschen, denn nur er besitzt die Fähigkeit, sich zu langweilen. Nebenbei bemerkt, auch Hunde und Katzen, bestimmt aber auch andere höher entwickelte Tiere haben das Zeug zur Langeweile, dass wird wohl jeder Halter dieser Tiere bestätigen können.

Zeit ist subjektiv, sie wirkt auf uns und wir wirken durch sie. Dabei gibt es Unterschiede der wahrgenommene Zeit. Während die Hirnforschung davon ausgeht, das die Spanne des Jetzt, der unmittelbar wahrgenommene Gegenwart ca. drei Sekunden währt, legen die Aborigines auf ihren Wanderungen lange Pausen ein, damit die Seele Gelegenheit erhält, dem Körper zu folgen.

Zeit wirkt vielfältig auf uns ein und aus diesem Grund unterscheidet Safranski verschiedene, immer subjektive Wahrnehmungen von zeitlichen Abläufen. Eigenzeit und Weltzeit, die niemals synchron verlaufen werden, Lebenszeit und vergesellschaftete Zeit, die in der Moderne Gefahr laufen, gegeneinander zu ticken. Die Weltraumzeit und ihre vermeintliche Ewigkeit, die dem Menschen eindringlich seine, immer viel zu kurz bemessene Anwesenheit auf diesem Blauen Planeten vor Augen führt.

Rüdiger Safranski versteht es wie kaum ein anderer Autor, philosophisches und literarisches Material zu einem spannenden Buch zu formen, das mit großem Unterhaltungswert ein eigentlich unbegreifbares Phänomen beschreibt. Immer sind die Menschen - zumindest in den westlichen Industrienationen - Getriebene einer Zeitdiktatur, die als vergesellschaftete Zeit stets mit der individuellen Lebenszeit in Konflikt gerät. Nicht zuletzt bringt dieser Widerstreit das gesellschaftliche Gleichgewicht aus den Fugen.

Die Zeit der Physiker ist eine andere, als die der kapitalistisch orientierten Wirtschaftsform. Der digitale Hochgeschwindigkeitshandel mit virtuellem Geld findet im Millisekundentakt statt und ist damit viel zu schnell, als dass ein Mensch mit seiner langsam ablaufenden biologischen Zeit noch eingreifen könnte. Die moderne Finanzwelt hat das Zeitmanagement längst den Computern überlassen.

Am Ende wird, so jedenfalls die Meinung der modernen Physik, nichts bleiben, endet doch die Zeit genauso wie sie begonnen hat, als unendlich kleiner Punkt in der Zeitlosigkeit.




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Veröffentlicht am 1. November 2015