Buchkritik -- Ferdinand von Schirach -- Strafe

Umschlagfoto, Buchkritik, Ferdinand von Schirach, Strafe, InKulturA Zwölf Kurzgeschichten, zwölf Menschen, wie Ferdinand von Schirach es an einer Stelle beschreibt, "... aus der Zeit gefallen" im Moment des Überschreitens des immer schmalen Grates zwischen Recht und Unrecht, zwischen bürgerlicher Gesetzestreue und spontanem Betreten der "dunklen Seite" der Existenz.

Stets, und das unterstreichen die erschreckend normal agierenden Personen, lauert unter dem dünnen Firnis dessen, was wir allgemein unter Zivilisation verstehen, ein Abgrund individueller Niederträchtigkeit, der es gelingt, im Augenblick des Kontrollverlustes die Oberhand über Recht und Moral zu erlangen. Der Leser mag erschrocken, geschockt oder angewidert ob des Handelns der Figuren sein, doch drängt sich ihm im Hintergrund immer die Frage nach seiner eigenen, latent vorhandenen Bereitschaft, die Grenze gesellschaftlich akzeptieren Agierens zu übertreten auf.

Schirach enthält sich jeder Wertung und erzählt über menschliche Abgründe mit der kalten Diktion einer Faktensammlung, die das Leben selber geschrieben hat. Richtig und falsch, Recht und Unrecht, Integrität und Bösartigkeit sind bei dem Autor keine festgeschriebenen Werte, sondern Aggregatzustände menschlichen Willens, der oft genug in Brutalität und Irrsinn ableitet.

Es gibt sie nicht, die Guten und die Bösen. Strafverteidiger wissen um die Gefährlichkeit und die Verbrechen ihrer Mandanten. Trotzdem sind sie bestrebt, Freisprüche zu erreichen. Biedere Sachbearbeiter rasten aus, weil ihre sexuellen Präferenzen demaskiert werden. Ein normaler Bürger tötet den Ehemann der von ihm begehrten Frau. Das Böse, wenn man denn überhaupt dieses religiös konnotierte Wort benutzen will, ist immer erschreckend banal. Ferdinand von Schirach gibt ihm viele Gesichter.




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Veröffentlicht am 15. März 2018