Buchkritik -- Donna Leon -- Tierische Profite

Umschlagfoto, Donna Leon, Tierische Profite, InKulturA Donna Leon lässt Commissario Brunnetti in seinem mittlerweile einundzwanzigsten Fall ermitteln. Ein toter Mann wird entdeckt, doch niemand scheint ihn zu vermissen. Nur Brunnetti glaubt die Augen des Mannes schon einmal gesehen zu haben. Es stellt sich heraus, dass der Tote Tierarzt war und in einem Schlachtbetrieb in Mestre für die ärztliche Kontrolle der angelieferten Tiere verantwortlich war. Brunnetti und Vianello machen sich, wieder einmal von Signorina Elletra unterstützt, daran, den Fall zu lösen. Und das, was sie herausfinden, verdirbt ihnen im wahrsten Sinn des Wortes den Appetit.

Auch diesmal hat Leon wieder einen auf den ersten Blick behäbige anmutenden Kriminalroman geschrieben. In mühseliger Kleinarbeit und mit vielen Kaffeepausen ermittelt das ungleiche Team diesmal in der profitablen Fleischindustrie. Kriminelle Machenschaften, die anscheinend wieder einmal bis in die oberen Gesellschaftsschichten reichen, erschüttern einmal mehr den altgedienten Kriminalisten.

Der Autorin Routine beim Schreiben ihrer Brunnetti-Romane zu bescheinigen, ist überflüssig. Der Commissario ist längst zu einer Kultfigur geworden, die auch die Verfilmung im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen zum Glück locker wegstecken kann.

Diesmal jedoch hat Donna Leon in ihren Roman viel Schwermut und den Hauch der Vergänglichkeit gelegt. Das Venedig, in dem Brunnetti den Spuren nachgeht, ist nicht mehr das Venedig, wie er es kennt und liebt. Schlimmer noch als die Touristen sind für ihn die profitgeilen Venezianer und das System Italien. Ein ganzes Land im Würgegriff der Mafia, eine Politik, die sich darauf versteht wegzuschauen und, wie der Commissario es ausdrückt, erfolgreiche Mafiajäger zur Belohnung in die Provinz versetzt, wo sie Fahrraddiebstähle aufklären sollen.

Ohne Frage, Venedig, seine so geliebte Stadt, wird im Wasser versinken, da hilft auch das groß angelegte MOSE-Projekt, 78 gigantische mobile Deich-Module, nicht viel, denn auch hier verdient sich die Organisierte Kriminalität eine goldene Nase.

Donna Leon hat einen Roman in einem Roman geschrieben. Vordergründig steht die Aufklärung des Mordes. Das Wesentliche des Romans "Tierische Profite" steckt jedoch in der zweiten Geschichte, die sehr schnell über ihre Funktions als Hintergrundrauschen hinausreicht und zum eigentlich spannenden Teil des Buches wird.

Commissario Brunnetti bemerkt hilflos den sukzessiven Zusammenbruch Venedigs, der dabei doch nur ein Symbol für den Infarkt einer ganzen Gesellschaft ist. Kriminelle Machenschaften, politische Inkompetenz und europäische Korruption bringen der Stadt, dem Land, ja ganz Europa eine dunkle Zukunft. So wird der Sonnenuntergang, dem Brunnetti wehmütig von seiner Terrasse zuschaut, zu einem Symbol des kommenden Untergangs. Wehmut und Melancholie bilden dann auch das Hauptmotiv seines einundzwanzigsten Falls.

Das Wissen darum, eigentlich bereits auf verlorenem Posten zu stehen, lässt Brunnetti und Vianello, zwei in die Jahre gekommene Ermittler, in die Schwermut derjenigen, die um ihr Scheitern wissen, geraten. Mit seinen kriminellen Zeitgenossen, mit der venezianischen Clique hat Brunnetti bereits abgeschlossen und so ist es nur folgerichtig, wenn Donna Leon ihn erst bei der Beerdigung des Mordopfers, deren Teilnehmer einen, wie er findet, sehr gemischten Haufen bilden, wieder seinen Frieden findet - und das liegt nicht nur an den Menschen.

Auf den letzten Seiten des Buches nimmt der Leser auf bewegende Weise Teil an der Schwermut Brunnettis, deren er sich erst in diesem Augenblick bewusst wird. "Tierische Profite" ist ein Meisterwerk aus der Feder Donna Leons.




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