Buchkritik -- Ferdinand von Schirach/Alexander Kluge -- Trotzdem

Umschlagfoto, Buchkritik, Ferdinand von Schirach, Alexander Kluge, Trotzdem, InKulturA Corona ist zum Glück noch nicht in jeder Lunge aber, so hat es den Anschein, zumindest in aller Munde. Was hörten und hören wird nicht tagtäglich an teils widersprüchlichen Verkündigungen – Gesichtsmasken nein, vielleicht, doch, vorgeschrieben bei Strafandrohung – der Herrschenden und den mit ihnen unisono kakophonierenden Staatsmedien. Da inzwischen ebenfalls Wissenschaftler sich dazu hergeben, Politik zu betreiben, rechnet der aufmerksame Beobachter des politischen Zeitgeists inzwischen mit dem Schlimmsten.

Da kam das schmale Bändchen aus dem Luchterhand-Verlag – immerhin 8 Euronen für knappe 40 Seiten – gerade zur rechten Zeit, um, so hoffte besagter Beobachter, etwas Luzides bezüglich des aktuell angewandten politischen Handelns zu erfahren.

Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge, beide Juristen und Schriftsteller, führten über einen Instant-Messaging-Dienst zwei Gespräche – soziale Distanz ist das Schlagwort der Saison, mein Unwort des Jahres ebenso –, die von den geschäftstüchtigen Managern des Verlages stante pede in klingende Münze umgesetzt wurden.

Was erfährt der geneigte Leser während der Lektüre? Erstens, das große Erdbeben von Lissabon hat den Geist Aufklärung forciert, durch den Gang nach Canossa von Heinrich IV. begann die Trennung von Kirche und Staat, im Straßenverkehr sterben auch Menschen, ohne dass das Autofahren verboten wird und Ärzte haben mitunter die schwierige Aufgabe darüber zu befinden, welcher Patient mit welchen Verletzungen die besseren Überlebenschancen hat, vulgo, sie treffen die Entscheidung, wer leben darf und wer nicht.

Habe ich noch etwas vergessen? Ja, die wichtigste Informationen von allen: Herr von Schirach nimmt sein Frühstück seit 30 Jahren außer Haus ein und stellte anlässlich des Corona-Shutdowns und seines geschlossenen Frühstückscafés fest, dass sein Herd wegen nicht entfernter Transportsicherungen eine veritable Fehlfunktion hatte. Echt jetzt?

Ein großzügiger Mensch könnte darüber hinwegsehen, dass auf den 40 Seiten Gemeinplätze zuhauf durchgekaut werden – Lissabon -Aufklärung / Canossa-Trennung von Kirche und Staat –, wenn jedoch, wie von Schirach es unternimmt, bezüglich der Reaktion und Handlungen der politisch Verantwortlichen, genauer gesagt, der Kanzlerin, von Versuch und Irrtum gesprochen wird, dann sollten eigentlich alle Alarmglocken läuten.

Versuch und Irrtum kennzeichnet wissenschaftliche Verfahren zur Verifizierung oder Falsifizierung einer Theorie. In der Politik haben sie nichts zu suchen und schon gar nicht in Zeiten einer Pandemie, die im Prinzip von den Politikern nur zwei Dinge verlangt: Heraus aus der Schublade mit dem Krisenplan und die schnelle Berufung von wirklichen Spezialisten. Das wäre verantwortungsvolles Handeln und hat mit Versuch und Irrtum nicht das Geringste zu tun. Beides fand leider nicht statt. Weder besaß die Regierung einen funktionsfähigen Notfallplan, der, durchaus mit Modifikationen, hätte sofort umgesetzt werden können noch beriefen die Verantwortlichen eine Expertenrunde, in der anerkannte Wissenschaftler der Politik Handlungsmöglichkeiten hätten aufzeigen können.

Ein Präsident des Robert Koch-Instituts, der zudem sich täglich widersprechende Aussagen machte und ein Virologe, der im Alleingang die Politik beriet, ist weit jenseits Versuch und Irrtum und grenzt hart an politischer Fahrlässigkeit.

Schon vergessen? Im Herbst 2015 hatte Deutschland schon einmal einen politischen Großversuch, der sich leider als veritabler Irrtum herausgestellt hat!

Was darf der geneigte Leser sonst noch goutieren? Richtig, ein Herr Orbán – Lieblingsfeind aufrechter deutscher Demokraten – regiert während des Notstands allein. Aha, und unsere geliebte Landesmutter befragt (nicht nur) in Coronazeiten bei jeder ihrer einsamen Entscheidungen das Parlament? Da hat der aufmerksame Beobachter im Herbst 2015 bestimmt ein Nickerchen gemacht, denn von einem Beschluss des Parlaments zur totalen Grenzöffnung hat er nichts mitbekommen.

Ich möchte meine Kritik an dem schmalen Band nicht länger gestalten, als das Gespräch der beiden Herren. Nur soviel sei noch gesagt: Die Schlussworte von Schirachs, „Nie wieder wird deshalb ein Politiker zu einer jungen Frau sagen können, Klimaschutzmaßnahmen seine nicht zu verwirklichen, weil sie zu teuer sind, zu kompliziert oder die Gesellschaft zu sehr einschränken. Wir können offenbar alles, wenn Gefahr droht, das haben wir jetzt gelernt“, lassen einmal mehr die Aufmerksamkeit des Beobachters des politischen Zeitgeists in den Alarmmodus fallen.

Diese beiden Sätze bestätigen dessen sich leider immer mehr bestätigenden Verdachts: Die sog. Coronakrise war und ist eine willkommene Blaupause für den stramm im linken Spektrum marschierenden politischen Mainstream. Der dürfte, sollte diese Krise eines Tages vorbei sein, einiges gelernt haben. Man darf gespannt sein.

Wir, die Bürger können, im Gegensatz zur Aussage von Schirachs, nicht alles. Wir, die Bürger müssen aber alles erdulden, was die Politiker, die in der Tat alles können, uns zumuten. Und genau dagegen muss sich eine wehrhafte Demokratie positionieren.

Halten wir fest. Die zwei Gespräche zwischen Schirach und Kluge waren privater Natur. Das hätten sie auch bleiben sollen.




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Veröffentlicht am 23. Mai 2020