Buchkritik -- Saša Stanišić -- Vor dem Fest

Umschlagfoto, Saša Stanišić, Vor dem Fest, InKulturA Nicht ganz in der Mitte Deutschlands, aber trotzdem am Arsch der Welt, liegt Fürstenfelde, ein Dorf in der Uckermark. Ein wichtiges Ereignis steht bevor; das Annenfest wirft seine Schatten voraus und die Dorfbewohner machen sich, jeder auf seine ganz besondere Weise, für die traditionelle Veranstaltung bereit. Doch über den Vorbereitungen liegt ein Schatten, denn der alte Fährmann ist gestorben.

Saša Stanišić erzählt in seinem Roman "Vor dem Fest" die Ereignisse am Vorabend des Annenfestes. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt den eigentlichen, jedoch sympathischen Verlierern der Wende. Abgehängt von den "Segnungen" der alten Bundesrepublik, leben gerade die älteren Dorfbewohner in einer Welt zwischen Altüberliefertem, Resten des realen Sozialismus und den neuen Herausforderungen der Zeit.

Da ist Herr Schramm, ehemaliger NVA-Offizier und jetziger Rentner, der sich ein Zubrot als Landmaschinenschlosser verdient und der kurz vor dem Fest eine Phase der Lebensmüdigkeit verspürt. Da gibt es Frau Schwermuth, die eifersüchtig die Dorfchronik bewahrt, die mit so mancher Skurrilität aufwartet. Da ist die auf ein Sujet reduzierte Malerin Frau Kranz und, als Vertreter der jüngeren Generation, Lada und sein stummer Kumpel Suzi und die asthmakranke Anna.

Es sind liebevoll konstruierte Figuren, die Stanišić in seinem Buch beschreibt. Eingebettet ist die Geschichte vom Vorabend des Annenfestes in historische Rückblenden, die zeigen, dass Fürstenfelde zwar eine Vergangenheit besitzt, jedoch, und das erzählt der Autor mit schwermütiger Diktion, keine erwähnenswerte Zukunft.

So verirren sich zwar gelegentlich und anlässlich seltener Festivitäten einige "Wessis" in das Dorf, ansonsten jedoch ist Fürstenfelde, wie so viele Dörfer in der Uckermark, abgeschnitten von den Errungenschaften des "Westens".

Neben der eigentlichen Geschichte mit ihren urig-knorrigen Wendeverlierern, ist es die Sprachmelodie des Autors, die den Leser in den Bann zieht. Teils dramatisch, teils witzig, dann wieder tief emotional, ohne jedoch in Wehleidigkeit zu verfallen, wechselt Stanišić permanent die Erzählebene. Eben noch Gegenwart, wird der Leser einen Moment später Zeuge historischer Begebenheiten, die, teils makaber, teils abergläubischen Tenors, eine Vergangenheit auferstehen lassen, die weder mit der Gegenwart korrespondiert, geschweige denn mit einer möglichen besseren Zukunft.

Es sind allesamt, legt man die Maßstäbe des lauten und hektischen Betriebs urbaner Zentren zugrunde, Verlierer, die Saša Stanišić in seinem Roman beschreibt. Und doch sind es Figuren, die dem Leser auf eine unterschwellige Art Bewunderung und Anerkennung abverlangen, lassen sie sich doch in ihrem Lebensweg nicht beirren oder gar konsumistisch manipulieren.

Die Nacht vor dem Annenfest ist verwoben mit einem uckermärker Mystizismus, der immer wieder den tiefen organischen Zusammenhang zwischen Mensch und Natur schildert, der, Stanišić versteht das meisterhaft, durch das Schicksal der eigentlichen, zum Schluß tragischen Heldin des Romans, eine Füchsin, beschrieben wird.

"Vor dem Fest" von Saša Stanišić ist Literatur vom Feinsten, die den Leser mitnimmt auf eine Reise durch eine wundersame Nacht.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 8. September 2014