Buchkritik -- David Abulafia -- Das Mittelmeer: Eine Biographie

Umschlagfoto, David Abulafia  --  Das Mittelmeer: Eine Biographie, InKulturA Das Mittelmeer ist wohl für die überwiegende Mehrzahl der nordeuropäischen Bürger ein Synonym für Ferien in der Sonne und mediterrane Küche. Kaum jemand dürfte daran gelegen sein, während eines meist 14-tägigen Aufenthaltes die Touristenburgen mit ihren immer gleichen Bettenghettos zu verlassen und sich, sollte das doch einmal der Fall sein, mit der faszinierenden und wechselvollen Geschichte des Mittelmeerraums zu beschäftigen.

Dass das bedauerlich ist, zeigt David Abulafia auf den 960 Seiten seines Buches "Das Mittelmeer: Eine Biographie". An den Küsten dieses Meeres fanden politische, wirtschaftliche und künstlerische Entwicklungen statt, die nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass rund um diesen europäischen Ozean immer wieder Hochkulturen entstanden sind, deren Strahlkraft weit über ihre jeweilige Zeit hinausreichte.

Abulafia teilt seine Geschichte des Mittelmeers in fünf, wie er es nennt, mediterrane Zeitalter ein. Damit umfasst sein Buch eine weitaus größere Zeitspanne als das Ende der vierziger Jahre erschienene Werk Fernand Braudels, das sich ausschließlich auf die Epoche Philipps II. beschränkt. Auch das im Jahr 2000 veröffentlichte Buch von Peregrine Horden und Nicholas Purcell "The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History" beschäftigt sich hauptsächlich mit der Zeit bis zum frühen Mittelalter.

David Abulafia legt seine Biographie dieses Meeres dagegen sehr weiträumig an und lässt sie bereits 22000 vor Christus mit den ersten Menschen, die ihre Fußspuren an den Küsten hinterließen beginnen und endet erst in der Gegenwart.

Jedem der mediterranen Zeitalter widmet er das gleiche Interesse und er tat gut daran, sich bei all seinen Untersuchungen auf einen schmalen Streifen Land zu beziehen, der, beschränkt auf Häfen, Küsten und Inseln, einen unmittelbaren Zugang zum Mittelmeer bot und wohl der Ausgangspunkt jeder dort stattgefundenen Entwicklung gewesen ist. Damit dürfte mit diesem Buch das zukünftige Standardwerk dieser weiträumigen Region entstanden sein.

Nirgendwo in Europa lagen Kriege und wirtschaftliche Entwicklungen so nahe beieinander wie rund um das Mittelmeer. Kulturen prallten ebenso aufeinander wie Gesellschaften und Religionen. Phöniziern und Griechen prägten diesen Lebens- und Kulturraum ebenso wie Genueser, Katalanen und Venezianer und, nicht zu vergessen Briten, Russen und Holländer.

Die historisch bedeutenden Schauplätze befanden sich in steter Wanderung. Osten und Westen, muslimisch und christlich, aktuell ein reicher Norden und ein armer Süden. Immer war das Mittelmeer das Zentrum und der Kulminationspunkt divergierender politisch-wirtschaftlicher Interessen, aber auch der Fokus kultureller Wechselwirkungen.

David Abulafia lässt die lange Geschichte dieses Meeres mit einer fast literarischen Atemlosigkeit vor dem Leser Revue passieren. Es ist das Buch eines Historikers, der sich zum Glück jeglicher politischen Bewertung enthält. Sein Ziel ist, der Autor sagt es deutlich, "...eine Geschichte von Konflikten und Kontakten" und keine Streitschrift eines wie auch immer ideologisch positionierten Geisteswissenschaftlers.

Das kommt unbedingt dem interessierten Leser zugute, der, einmal dieses umfangreiche Werk zur Hand genommen, sich diesem aufsehenerregenden und mit außerordentlichen Wissen gefüllten Buch nicht entziehen kann. Allein die erzählerische Diktion Abulafias dürfte dafür sorgen, dass sein Buch den Rang eines Standardwerks für lange Zeit verteidigen wird.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 7. Februar 2014