Buchkritik -- Dirk Bernemann -- Vom Aushalten ausfallender Umarmungen

Umschlagfoto, Dirk Bernemann, Vom Aushalten ausfallender Umarmungen, InKulturA Wer den Autor Dirk Bernemann kennt, der schätzt ihn nicht zuletzt wegen seines sezierendes Blicks individueller Befindlichkeiten. Kaum ein anderer deutschsprachiger Verfasser hat dieses seltene Talent, tief unter den Firnis bürgerlicher Saturiertheit zu blicken und die darunter sich verbergende Verzweiflung zu demaskieren.

Ein Fotograf, der Phrasen drescht, die bedeutungsschwer im Raum hängen, jedoch bar jeden Sinnes sind. Die einsame Frau, die die Leere ihrer Existenz mit dem Zusammensetzen von Puzzles verdrängt und fast daran zerbricht, dass das letzte Teil anscheinend fehlt. Die Teilnehmer auf Technopartys, die ohne den Konsum bewusstseinsverändernder Drogen ihr Leben im wahrsten Sinn des Wortes nicht überleben würden.

Es sind Verzweifelte und Einsame, die Bernemann in seinem neuen Kurzgeschichtenband darstellt. Wie Billardkugeln, absichtslos karamboliert, laufen sie sich über den Weg, ohne vom Anderen wahrgenommen zu werden. Zufällige Begegnungen zerlaufen in spurlosen Bahnen, die stets in der Sackgasse persönlicher Tristesse enden.

"Vom Aushalten ausfallender Umarmungen" ist der Zustandsbericht einer Zeit, die, bar jeder tradierten Fixpunkte, bei den gesellschaftlichen Mitspielern Depressivität, Hilf- und Hoffnungslosigkeit produziert. Dabei, und das ist das eigentlich Erschreckende, von Bernemann tief nachempfunden, ist keine Person seiner Geschichten ein Außenseiter, noch ein Gestrauchelter oder gar Gefallener. Es sind Menschen, die oberflächlich im Sinn der Mehrheit funktionieren, die ihre jeweilige Rolle perfekt spielen und wohl als nützliche Mitglieder der Gesellschaft bezeichnet werden können.

Es sind Menschen wie du und ich. Sie begegnen uns alltäglich und hinterlassen doch keine Spuren. Hat der Leser sich das erst einmal vergegenwärtigt, dann ist Schluss mit der eigenen Ruhe und Zufriedenheit.




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Veröffentlicht am 24. April 2016