1978 erschien bei Klett-Cotta ein überaus interessantes und (damals) zeitgemäßes Buch. Es war von Dietz Bering und hatte den Titel "Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes." Es schlug damals wie eine Bombe in den literarisch-wissenschaftlichen Sektor ein. Ende der 70'er Jahre wimmelte es im geisteswissenschaftlichen und politischen Sektor nur so von den sogenannten "Intellektuellen".

Bering forschte nach der Etymologie des Begriffs Intellektueller. Schnell fand er heraus, daß es noch keine lange Geschichte hatte, sondern zuerst im Frankreich der Dreyfuss-Affäre aufkam. Seitdem war es, so Bering, immer ein Schimpfwort einer jeweiligen Ideologie im Kampf mit einer anderen. Sowohl die Nationalsozialisten, als auch die Bolschewisten hatten jeweils ein distanziertes bis ablehnendes Verhältnis zum Intellektuellen. Die Wortwahl war beinahe identisch. Es war die Rede von Blutleer, entwurzelt, verbildet, jüdisch, instinktlos, usw.

Im Gegensatz dazu haben es diejenigen, um die es ging, nämlich die Intellektuellen, niemals geschafft, dagegen Stellung zu beziehen. Es fand ihrerseits keine Auseinandersetzung mit dem Gegner statt. Es schien, als hätten sie sich auf ewig damit abgefunden, mit dem negativen Begriff des Intellektuellen zu leben.

Doch soll dies hier keine primäre Auseinandersetzung mit dem mittlerweile über zwanzig Jahre alten Buch sein, obwohl ich natürlich dankbar bin, viele Anregungen und Informationen daraus bezogen zu haben, sondern ich will versuchen, kurz zu skizzieren, ob und wie der Intellektuelle in den Jahrzehnten nach erscheinen des Buches überlebt hat.

Es war symptomatisch, das dieses Buch Ende der siebziger Jahre veröffentlicht wurde. Es war die Zeit der APO, der außerpolitischen Opposition, es war die Zeit der Studentenrevolte, es war die Zeit des Infragestellens von nahezu allem bestehenden. Alte Beispiele wurden verworfen, neue Paradigmen wurden gesucht (und gefunden?). Es spielte sich eine Spezies in den Vordergrund, die es seit dem Ende des zweiten Weltkriegs so nicht in Deutschland gegeben hatte.

Das Wirtschaftswunder war vorbei und hatte aus Deutschland trotz des verlorenen Krieges ein wirtschaftlich starkes Land gemacht. Die harte Zeit des Aufbaus war ebenfalls vorbei und es konnte eine Generation die Universitäten besuchen, die den Krieg und den anschließenden Wiederaufbau nur noch vom Hörensagen her kannte. Aus dieser Generation rekrutierten sich die Legionen der neuen Spezies des Intellektuellen. Zuerst blieb sie beschränkt auf den eng umgrenzten Bereich des Campus. Noch nach und nach breitete sie sich jedoch in das öffentliche Leben, in die Politik und in das Erziehungswesen aus.

Von der produktiv arbeitenden Bevölkerung nahezu unbemerkt, besetzten die Intellektuellen immer mehr Schlüsselpositionen in der Gesellschaft. Rundfunk- und Fernsehanstalten, politische Parteien (hier überwiegend die SPD) waren ihr neues zuhause. Sie ernannten sich selber zu Meinungsmachern und versuchten eine ganze Gesellschaft, wie wir heute leider sehen können mit verheerendem Erfolg, nach ihren Vorstellungen zu verändern.

Doch welche Vorstellungen waren es, nach denen die neue Gesellschaft aufgebaut werden sollte? Hier spaltete sich das Lager der selbsternannten Erneuerer in diverse Gruppierungen. Links, ultralinks, Marxistisch-Leninistisch, KPD, links der bürgerlichen Mitte, anarchistisch, Sponti, usw. All das war ein kleiner Teil der sich abzeichenden Diversifizierung der Spezies Intellektueller. Flügelkämpfe zwischen den einzelnen Lagern waren an der Tagesordnung - der arbeitende Teil der Bevölkerung schüttelte den Kopf und ging zurück zum normalen Tagesablauf.

Dieses Desinteresse und die Apathie in Bezug auf gesellschaftliche Strömungen seitens des Bürgers war somit dafür verantwortlich, das es den Intellektuellen gelang, von der Gesellschaft Besitz zu ergreifen um sie in ihrem Sinn zu manipulieren. Es wurde z. B. ganze Generationen von Eltern verunsichert, indem neue Erziehungsmaximen postuliert wurden. Die Familie wurde als Keimzelle des Faschismus deklariert, und in anti-autoritären Kindergärten wurde unzählige Kinder zu bindungsunfähigen und undisziplinierten Jugendlichen manipuliert.

Dabei hat sich die Institution der Universität nach Kräften beteiligt. Nach dem Ende der Studentenrevolte gab sich der Staat geschlagen und berief hunderte von neuen Professoren, die zwar fachlich in keiner Weise kompetent waren, sich aber durch eine gewisse intellektuelle Linientreue auszeichneten. Sie besetzen zu einem großen Teil noch heute die Lehrstühle und verhindern wirkliche Reformen .

Was ist, bzw. was zeichnet den Intellektuellen aus? Was sind seine Eigenschaften und gibt es ihn immer noch? Das sind die eigentlich wichtigen Fragen. Die Erscheinungsform es Intellektuellen war immer auf die universitären Geisteswissenschaften beschränkt. Es war nicht so sehr Intelligenz gefragt, als vielmehr eine gewisse Einstellung, die in den jeweiligen Kreisen gerne als ideologischen Ausrichtung bezeichnet wurde. Es ging in diesen Studiengängen, im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen, nicht primär um Erwerb von Wissen, sondern vielmehr war die "Ausformung" der eigenen Persönlichkeit. (Natürlich zu Lasten der produktiv arbeitenden Bevölkerung, die sich als Dank für ihre Steuerabgaben als reaktionäre Spießer titulieren lassen musste.)

Solchermaßen verwöhnt und mit einem Universitätsabschluß versehen, begann nun der "Marsch durch die Institutionen". Eben diese Institutionen, Parteien, Gewerkschaften und das Bildungssystem, waren es, in denen ausschließlich Platz für die Intellektuellen war. In der Wirtschaft konnte man mangels Können auf die ideologisch geschulten Kritikaster gerne verzichten. Aus diesem Grund fiel ihnen der öffentliche Sektor fast kampflos in die Hände.

Jede noch so abwegige Resolution wurde unterschrieben, jeder noch so aussichtslose Kampf gegen Windmühlenflügel wurde aufgenommen und im stillen wurde der "real existierende Sozialismus" der DDR bewundert. Natürlich nur im stillen, denn immerhin wollte man sich ja für seine schwer verdiente Beamtenbesoldung ein Haus in der Toskana kaufen und einmal im Jahr an den Stammesfesten eines weithin unbekannten Bergvolkes im brasilianischen Urwald teilnehmen, um sich hinterher als erfahrener Anthropologe ausgeben zu können und vielleicht diesbezüglich eine neue Idee für die 99'zigste Schulreform mit nach Hause zu bringen.

Fast zwanzig Jahre gelang es den Intellektuellen das öffentliche Erscheingsbild Deutschlands zu prägen. Doch mit dem Fall der Mauer und dem Ende des Ostblocks im Jahr 1989 war es schlagartig vorbei mit der (Selbst)Herrlichkeit. Im wahrsten Sinn über Nacht wurde ein Paradigmenwechsel vorgenommen, der die bis dahin herrschende Klasse der Intellektuellen vor ein Nichts stellte. Das einzige, große Vorbild, der Sozialismus verschwand sang- und klanglos. Die Theorien von Karl Marx mit denen der überwiegende Teil der Intellektuellen einverstanden waren (zumindest als Experiment in anderen Lädern) brachen unter dem Volkswillen zusammen.

Von Stund an ging es mit dem Einfluß der Intellektuellen abwärts. Geschockt, verwirrt und orientierungslos blieb ihnen nur die Aggression gegenüber der nach vierzig Jahren sozialistischer Planwirtschaft verständlicher Konsumhaltung der Ex-DDR Bürger übrig. Verbittert zogen sie sich in ihre gut dotierten Schmollwinkel des Beamtenrechts zurück und waren von Stund an im Gegensatz zu früheren Zeiten nur noch Reformverhinderer. Verständlich, denn wer sägt schon den Ast ab, auf dem er sitzt? Doch das sie damit weitaus größeren Schaden anrichten als sie es bisher schon getan haben, interessiert sie nicht, solange die eigene Pension nicht in Gefahr ist.

Und so werden sie weiter dafür sorgen, das sich in unserem Lande nichts zum besseren verändern wird, denn Veränderung bedeutet auch das Infragestellen von eigenen Positionen. Doch wer kann schon zugeben, das er sein ganzen Leben lang den falschen Theorien angehangen hat, das er für die Gesellschaft nicht von Nutzen gewesen ist und das sein (falscher) Kampf gescheitert ist?

Der Intellektuelle hat abgewirtschaftet, doch die Folgen seiner Handlungen werden leider noch die kommenden Generationen spüren.