Buchkritik -- Monika Helfer -- Die Bagage

Umschlagfoto,Buchkritik,Monika Helfer,Die Bagage,InKulturA Ausgegrenzt, nicht ausgestoßen, lebt Familie Moosbrugger am Rand eines Bergdorfes. Das letzte Haus und der Weg dorthin, kommt man vom Dorf, vom Ort, wo die wohnen, die schon lange dort sind, ist weit und nach dem Haus kommt nichts mehr, zumindest wenn dieses Nichts Menschen bedeutet.

Die Eltern, Josef und Maria, eine Ziege, zwei Kühe und fünf Kinder, ansonsten Armut. Nein, da ist noch etwas, nämlich Schönheit. Schön sind sie beide, die Mutter und der Vater. Der ist auch, im Gegensatz zu den Männern unten im Dorf, ein sauberer, ein reinlicher Mann, einer, der auf sich hält. Das wird ihm jedoch schlussendlich der Krieg, der von ihm nicht gerufen wurde, der aber nach ihm verlangte, ausgetrieben. Zurück blieb Maria mit den Kindern und dem Vieh. Ärmer um den Mann, reicher jedoch an Begehrlichkeiten der Männer, die so schmutzig reden, wie sie aussehen, und die die Maria einmal oder gerne auch öfter haben möchten, eben weil sie so schön ist. Da passt aber der Bürgermeister auf, weil der von den „Geschäftchen“ des Josef profitiert. Außer ihm weiß keiner, was das für „Geschäftchen“ sind. Es fragt auch niemand, denn der Josef steht im Ruf schnell auszuteilen. Jedenfalls wird der vom Josef gebeten, auf dessen Frau aufzupassen, während er dem Kaiser beim Kriegführen hilft.

Und dann ist da noch Georg aus Hannover, der anders redet als die Leute im Dorf und der auch noch gut aussieht. Ach ja, die Grete ist auch noch da. Die wird der Josef zwar niemals schlagen, aber auch niemals ein Wort mit ihr sprechen, weil er glaubt, sie sei nicht sein Kind. Und genau um die Grete geht es, die ist nämlich die Mutter der Erzählerin.

Die Bagage, die, die man eigentlich nicht braucht, die verdächtig sind, jedenfalls für die, die sich trotzdem die Mäuler über sie zerreißen, ist die Familie, sind die zwei oder drei, davor verliert es sich im Dunkel der historischen Anonymität, Generationen, die vor Monika Helfer gelebt haben und die, obwohl auch nach menschlichen Maßstäben beurteilt, drei Generationen, also knapp einhundert Jahre keine lange Zeit sind, doch wie eine Mauer zwischen dem Gestern und dem Heute stehen.

Zwei große Kriege, die eigentlich nur ein Krieg mit einer langen Pause gewesen sind, die wenigen Jahre davon und danach ließen keine Sentimentalitäten aufkommen. Es war so, wie es war und das Nachfragen, das Suchen nach der Familienvergangenheit, nach dem warum und weshalb, war verpönt, besonders nach den Kriegen.

Und doch war da die Sehnsucht, das Gefühl, es müsse mehr geben als tägliche harte Arbeit, Mühsal und Armut. Maria spürt dieses Drängen, das mit Macht an die Oberfläche ihre Bewusstseins dringt, sie es jedoch nicht in Worte fassen kann; ihr Mann Josef allerdings noch weniger. Nur Georg gelingt es, darauf Wellen des unausgesprochen Bleibenden zu erzeugen.

Monika Helfer erzählt ohne Sentimentalität und falsches Pathos die Geschichte ihrer Familie. Nicht streng chronologisch, sondern, mit Vor- und Rücksprüngen, dergestalt, dass der Leser immer wieder gefordert ist, Bezüge zwischen dem Gestern und dem Heute herzustellen, denn das, was die Erzählerin ist, was ihr Leben ausmacht und im weitesten Sinn bestimmt hat, liegt, wie bei jedem von uns, in der Vergangenheit.

„Die Bagage“ ist neben einer Familiengeschichte aber auch ein Roman über Liebe und Verlust, über Unterwerfung und Aufbegehren und nicht zuletzt, dafür steht die Figur des Adjunkten, des jungen Postboten, der Maria gegenüber tiefe Gefühle hegt, für die Unerreichbarkeit der geliebten Person.

Wie manch andere Erinnerungsliteratur ist dieses Buch kein Blick zurück im Zorn und es kommt ohne denunziatorische Attitüden daher. Aber, und das hat mich tief bewegt, zwischen den Zeilen spürt der aufmerksame Leser eine niemals vergehen wollende Traurigkeit. Vielleicht liegt das daran, dass es Monika Helfer gelungen ist, ein Buch zu schreiben, das vollkommen diametral zum herrschenden Zeitgeist angelegt ist und für den Familie im Prinzip nur noch der Ort ist, an dem sich Menschen WC und Dusche teilen. So gesehen ist die Realität weitaus trauriger als die Erinnerungen Monika Helfers.

„Die Bagage“ ist für mich eines der herausragenden literarischen Ereignisse des Jahres.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 2. Juni 2020