Buchkritik -- Anne Ameri-Siemens -- Ein Tag im Herbst

Umschlagfoto, Buchkritik, Anne Ameri-Siemens, Ein Tag im Herbst, InKulturA Im Herbst 1977 wurde die Bundesrepublik von einer Welle des Terrorismus getroffen, der in der Geschichte des Landes bislang einzigartig war. Am 5. September 1977 wurde der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer in Köln überfallen und entführt. Bei dieser Aktion wurden sein Fahrer und drei Polizeibeamte getötet. Das Ziel der Entführer war die Freilassung von elf gefangenen RAF-Mitgliedern.

Während die Bundesregierung unter dem Kanzler Helmut Schmidt bei der zwei Jahre zurück liegenden Entführung von Peter Lorenz auf einen Gefangenenaustausch einging, blieb sie im Herbst 1977 bei der strikten Linie, den Forderungen der Terroristen diesmal nicht zu entsprechen. Als deutlich wurde, dass die Bundesregierung sich nicht erpressen lassen würde, entführten mit der RAF verbündete Terroristen der PFLP eine Passagiermaschine der Lufthansa. Nach einem Irrflug des Flugzeuges durch einige arabische Staaten und der Ermordung des Piloten Jürgen Schumann griff am 18. Oktober die GSG 9 die auf dem Flughafen Mogadischu sich befindende Maschine an und befreite in einer spektakulären Aktion die Geiseln.

Kurz darauf, noch in der Nacht der Geiselbefreiung, begingen die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe Selbstmord. Hanns Martin Schleyer wurde nach der Stürmung des Flugzeuges von seinen Entführern erschossen und seine Leiche am Abend des 19. Oktober in Mülhausen im Elsass gefunden.

Anne Ameri-Siemens rekapituliert in ihrem Buch "Ein Tag im Herbst" die politische und gesellschaftliche Situation, in der sich die Bundesrepublik während dieser Zeit befand. Sie lässt Zeitzeugen zu Wort kommen, die unmittelbar am Geschehen beteiligt waren, aber auch Angehörige der Opfer sowie Justizvollzugsbeamte und Anwälte.

Die Bundesrepublik befand sich, das war schnell klar, in einer Situation, die spätestens mit der Entführung des Lufthansaflugzeugs eine Stufe der Eskalation erreichte, die ein Eingehen auf die Forderungen der Schleyerentführer unmöglich machte. Die Tragik der Vorgänge, das zeigen gerade die Äußerungen der betroffenen Familienmitglieder, lag in der Tatsache, dass schnell klar war, der Staat würde sich diesmal nicht erpressen lassen und als Folge davon auch den Tod zumindest den von Hanns Martin Schleyer ins Kalkül gezogen hat.

Wohl niemand kann ohne Erschütterung die Äußerungen von Hanns-Eberhard Schleyer, dem Sohn des entführten Arbeitgeberpräsidenten lesen, dessen Familie bis zum bitteren Ende an die Freilassung des Vaters und Ehemanns glaubte. Die verantwortlichen Politiker, allen voran Helmut Schmidt, wussten genau, dass sie ihrer Entscheidung der Geiselbefreiung durch die GSG 9 zumindest das Leben von Hanns Martin Schleyer aufs Spiel setzten.

Das Buch von Anne Ameri-Siemens ist gerade durch die Tatsache, dass Zeitzeugen mit unterschiedlichen Intentionen, Zielen und Hoffnungen zu Wort kommen, ein außerordentliches Dokument dieser die Bundesrepublik bis heute prägenden Ereignisse im Herbst 1977.




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Veröffentlicht am 12. März 2017