Buchkritik -- Ferdinand Seibt -- Die Begründung Europas

Umschlagfoto  -- Ferdinand Seibt  --  Die Begründung Europas Der europäische Zusammenschluss scheint unaufhaltsam und unumkehrbar zu sein. Aus einem Europa der Nationalstaaten wird im Idealfall ein starker Wirtschaftsstandort, der eine nur zu ahnende Konsumentwicklung nehmen wird. Über die aktuelle Euphorie, aber auch über die Zweifel ist man schnell bereit zu vergessen, wie sich dieses Europa der Nationen gebildet hat, wo seine Wurzeln und Ursprünge lagen. Welche Probleme es auf diesem langen Weg gab, wo die Gemeinsamkeiten, aber auch die Differenzen des innereuropäischen Miteinander waren.

Weit davon entfernt, ein homogenes Gebilde gewesen zu sein, war Europa im Lauf seiner Geschichte Schauplatz unzähliger Konflikte und kriegerischer Auseinandersetzungen, von denen die des letzten Jahrhunderts die schlimmsten gewesen waren. Ohne Zweifel bedeutet der Zusammenschluss der europäischen Nationen, der ja schon seit Jahrzehnten im Gange ist, eine nicht zu unterschätzende Maßnahme der Stabilisierung. Trotz aller berechtigten Zukunftsträume ist es doch angebracht, auch noch einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um sich dieses Gebilde Europa auf seinem Weg durch die Jahrhunderte zu vergegenwärtigen.

Ferdinand Seibt hat in seinem Buch Die Begründung Europas diesen historischen Ablauf gemäldeartig vor dem Leser ausgebreitet. Sein Augenmerk dient nicht in erster Linie den historisch belegten Jahreszahlen, sondern vielmehr dem Prozess der Entwicklung des, gemeinsam genutzten, europäischen Raums in der Zeit. Nicht die Jahreszahlen sind sein Anliegen, vielmehr geht es ihm um die Gemeinsamkeiten, aber auch um das Trennende, welches immer wieder Anlass zu Konflikten gab.

Der Autor wandert sowohl, immer mit seinem Leser zusammen, über die alten Handelsstraßen, als auch durch die entstehenden Städte und die schon seit langen Zeiten bestehenden Dörfer. Er ist immer auf der Suche nach den kulturellen Strömungen, den Entwicklungs- und Veränderungsschüben. Diese findet er überall - in der Politik, in der Kultur sowieso, aber genauso gut in der Entwicklung von Kleidern, Werkzeugen und Waffen. Seine Untersuchungen beschränken sich bei weitem nicht auf die jeweils herrschenden Dynastien, sie kommen natürlich in seiner "Begründung Europas" vor, doch sie stehen nicht im Mittelpunkt.

Sein Interesse weckt der unbeschreibliche Transfer von Wissen und Glauben, von Ideen und gelebter Realität, von Aufbrüchen und vom Scheitern. Er zeigt dem Leser, der sich schon auf einen unglaublich informativen und wissensmächtigen Parforceritt einstellen sollte, die Entwicklung unseres Kontinentes. Europa hat nicht nur eine Geschichte, es hat deren viele. Die Geschichte der Kirche ebenso wie die Geschichte der Dynastien und Herrschergeschlechter, die Geschichte des Krieges ebenso wie die Geschichte der Naturwissenschaft. Nicht zu vergessen die wirtschaftliche Entwicklung und deren Bedeutung für Europa.

Generell ist der grenzüberschreitende Handel, der florierende allemal, ein Garant nicht nur für wirtschaftlichen Aufschwung, sondern auch für ein friedliches Miteinander. Wie viele Kriege wurden in Europa aus wirtschaftlichen Gründen geführt und wie viele aus politischen oder religiösen Motiven? Die Letztgenannten sind hier eindeutig in der Mehrzahl.

Aus all diesen, auch separat zu untersuchenden, Geschichten formt Ferdinand Seibt ein unbeschreibliches Panorama der europäischen Geschichte. Es ist ihm auf eine faszinierende Weise gelungen, tausend Jahre europäischer Geschichte vor den Augen des Lesers Revue passieren zu lassen. Er zeigt ihm die Strömungen des europäischen Bewusstseins, welche sich auf unbeschreiblich viele Weisen manifestiert haben. Dieses Buch ist ein universaler "... Zwischenbericht über die letzten tausend Jahre", oder wie Ferdinand Seibt es selber formuliert: "Dieses Buch ist für alle Wissbegierigen geschrieben".

Dem kann man nichts mehr hinzufügen.




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