Buchkritik -- Ernst Peter Fischer -- GENial!

Umschlagfoto  -- Ernst Peter Fischer  --  GENial!, Buchkritik Wissenschaftsgeschichte kann spannend sein. Das beweist Ernst Peter Fischer mit seinem Buch über die Entwicklung und die Fortschritte der Genforschung. Was im Jahr 1856 in der österreichischen Augustiner-Abtei St. Thomas in Brünn mit dem Kreuzen von Erbsen durch den Mönch Gregor Mendel begann, hat sich über 150 Jahre später in zahlreichen wissenschaftlichen Fachbereichen und wirtschaftlichen Komplexen etabliert. In Medizin und Pharmazie ist die Gentechnik von ebenso ausschlaggebender Bedeutung wie in der Agrartechnik. So wird z. B. Insulin mit Hilfe gentechnisch veränderter Bakterien hergestellt und Pflanzen werden infolge gentechnischer Manipulationen verträglicher gegenüber Pflanzenschutzmitteln.

"GENial!" ist eine auch für den wissenschaftlichen Laien gut lesbare Darstellung des Siegeszugs der Genforschung. Was Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Klostergarten begann, bestimmt als angewandte Wissenschaft große Bereiche des modernen Lebens. Ernst Peter Fischer lässt in seinem Buch die Forscher Revue passieren, die maßgeblich zu den Erfolgen der Genforschung beigetragen haben.

Thomas Hunt Morgan, der der reproduktionsfreudigen Taufliege Drosophila melanogaster als Versuchstier ein wohl ewiges Monument schuf. Hermann Joseph Muller und seine Forschungen über die Auslösung künstlicher Mutationen durch den Einfluss von Röntgenstrahlung. Barbara McClintock und ihre Entdeckung des Transposons, des "springenden Gens". James Watson und Francis Crick erkennen die Doppelhelix-Struktur der DNA. Seymour Benzer, der zum ersten Mal auf einen Zusammenhang zwischen Genetik und Neurophysiologie hinwies. John Craig Venter und dessen Projekt zur Sequenzierung des menschlichen Genoms.

Was im Jahr 1980 mit der ersten Patentierung - durch Ananda Chakrabarty in den USA - eines gentechnisch veränderten Organismus anfing, ist, nicht zuletzt durch Craig Venters Kommerzialisierung seiner gentechnischen Sequenzierungen und die daraufhin von ihm angemeldeten Patente, in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit geraten.

Neben der vom Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer beschriebenen Geschichte der Genforschung zeigt der Autor jedoch, dass, im Gegensatz zu manchen rhetorisch sehr martialisch daherkommenden Aussagen, der Mensch nicht allein durch seine Gene bestimmt wird. Vielmehr sind diese als Möglichkeiten zu interpretieren, die jedoch immer in Interaktion mit dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld stehen. Ein sehr vielversprechender Zweig der Genforschung liegt dann folgerichtig in der Epigenetik, die sich mit den Zelleigenschaften beschäftigt, die auf Tochterzellen vererbt werden und die nicht in der DNA-Sequenz festgelegt sind.

Der Autor scheut nicht davor zurück deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass der Mensch, dass ein Individuum mehr ist, als die Summe seiner Gene. Erst die Wechselbeziehung zwischen der Umwelt und den Genen, die eher den Charakter einer Potentialität besitzt, ist grundlegend konstitutiv für die Entwicklung und darf auf keinen Fall als eine rigide Festlegung auf rein biologische Faktoren verstanden werden. Damit steht Ernst Peter Fischer in letzter Konsequenz sogar gegen einen großen Teil der Neurowissenschaft, welche die Willensfreiheit negiert.

Was wäre ein Buch über Genetik, wenn nicht die Rede wäre von wohl berühmtesten Schaf der Welt? "Dolly", das erste Säugetier, das durch Klonen erzeugt wurde und dem nur eine Lebenszeit von knapp sieben Jahren - bei einer sonst bei Schafen üblichen von 15 - 20 Jahren - gegönnt war.

Ausgehend von der technischen Machbarkeit des Klonens kommt der Autor zu den wesentlichen philosophischen Fragen bezüglich dessen, was einen Menschen jenseits seines genetischen Programms ausmacht. Wäre ein geklonter Mensch eine genaue Kopie seines psychischen und physischen Originals? Würde ein Klon von Albert Einstein weitere bahnbrechende Erkenntnisse über Raum und Zeit gewinnen oder würde er keine neuen Ideen mehr haben? Ernst Peter Fischer ist sich sicher, dass geklonte Einsteins, Mozarts oder Goethes ein erbärmliches Leben fristen würden, denn ihre Werke haben sie uns bereits hinterlassen und genau hinter diese "Lebenswerke" können sie nicht mehr zurück - aber auch nicht darüber hinaus.

Die Genetik hat viele Rätsel entschlüsselt, doch ähnlich der russischen Matrjoschka-Puppen führt die Lösung eines Problems bereits zur nächsten Frage. Daran, ob das wissenschaftlich Machbare auch das ethisch Wünschbare ist, muss gezweifelt werden. Der Autor ist auch in dieser Beziehung deutlich. Emotionen, Gefühle und Wertvorstellungen, all das, was ein Individuum erst ausmacht - Ernst Peter Fischer bezeichnet es als die Seele - kann niemals Bestandteil eines rein technischen Vorgangs sein.

"GENial!" ist ein informatives und unterhaltsames Buch über die Geschichte und die mögliche Zukunft der Genetik.




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