Buchkritik -- M.Wolffsohn/Th. Brechenmacher -- Denkmalsturz? Brandts Kniefall

Umschlagfoto  -- Am 7. Dezember 2010 jährt sich zum 40. Mal der denkwürdige Augenblick, als der damalige Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Denkmal des jüdischen Aufstands im Warschauer Ghetto von 1943 auf die Knie fiel. Diese Szene des Warschauer Staatsbesuchs ist zum "deutschen Erinnerungsort" geworden. War es eine spontane Geste oder eine klar kalkulierte Gebärde? Wie wurde dieser "Kniefall" in Deutschland, Polen und dem restlichen Ausland wahrgenommen?

Zur Beantwortung dieser Fragen soll an dieser Stelle auf das bereits im Jahr 2005 erschienene Buch Denkmalsturz? Brandts Kniefall von Michael Wolffsohn und Thomas Brechenmacher hingewiesen werden, das den Versuch unternommen hat, die damalige Aktion Willy Brands in eine Relation zur öffentlichen Wahrnehmung oder auch gar Nichtwahrnehmung zu bringen.

Der Kniefall des Bundeskanzlers war, um es kurz zu sagen, sowohl den Ländern des damaligen Ostblocks als auch denen des westlichen Bündnisses keine großen Schlagzeilen wert. Die kommunistischen Staaten verschwiegen ihn vollkommen und auch in den großen europäischen Partnerländern wurde er zwar zur Kenntnis genommen, doch danach sofort wieder zur Tagespolitik zurückgekehrt. Einzig in Deutschland wurde über diese Geste der Trauer und Buße heftig gestritten.

Wolffsohn und Brechenmacher machen deutlich, dass der Kniefall nichts mit der neuen deutschen Ostpolitik zu tun hatte, denn das Denkmal war dem jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 gewidmet, der in der polnischen Erinnerung weit hinter dem nationalpolnischen Aufstand im August 1944 angesiedelt ist.

Auch in den USA und, besonders verwunderlich, in Israel fand die Verneigung Brandts vor den jüdischen Opfern kaum Widerhall. Befürchtete man im westlichen Staatenbündnis gar eine unkritische Annäherung der damaligen BRD an die UdSSR, die unter keinen Umständen geduldet werden konnte - die Autoren zeigen dann auch die heftigen Reaktionen Großbritanniens und Frankreichs auf die deutschen Kontakte mit der Sowjetunion - verwundert besonders die fehlende positive Reaktion aus Israel.

In Jerusalem war man politisch naturgemäß eher an harten Fakten interessiert, als an noch so noblen Gesten. In erster Linie war die israelische Politik daran interessiert, die Ebene des zwangsläufig besonderen Verhältnisses zu Deutschland nicht zu verlassen. Die Anmahnung der deutschen Verantwortung für die Sicherheit Israels, sie umfasste nach israelischer Meinung sowohl Wirtschafts- als auch militärische Hilfe, hatte Priorität. Dieser Status quo in den Beziehungen zwischen Deutschland und Israel stand, im Hinblick auf die Jerusalemer Politik im Vordergrund.

Die Autoren betonen, dass Willy Brands Kniefall vor dem Denkmal für ihn kein Zeichen eines wie auch immer gearteten Schlussstrichs unter die zwölf Jahre währende Nazidiktatur und die in ihrem Namen verübten Verbrechen an den Juden darstellte. Insofern betreiben die Autoren Wolffsohn und Brechenmacher natürlich keinen Denkmalsturz, sondern wollen diesen Akt historisch korrekt und ohne die persönlich gefärbten Befindlichkeiten des damals betroffenen Personenkreises verorten.

Wenn man von der oft überheblich wirkenden mokanten Diktion der Autoren absieht, dann ist das Buch eine gelungene Interpretation, dieser - zumindest in der damaligen deutschen Wahrnehmung - besonderen historischen Buße.




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