Buchkritik -- Hans-Dieter Mutschler -- Halbierte Wirklichkeit

Umschlagfoto, Hans-Dieter Mutschler, Halbierte Wirklichkeit, InKulturA Je mehr sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die reduktionistisch-materialistische Interpretation der Wirklichkeit nicht gerecht wird, desto vehementer klammert sich der wissenschaftliche Mainstream an ein Menschenbild, das ausschließlich durch die Naturwissenschaften, also durch Physik, Chemie, Biologie oder Informatik erklärt werden kann.

Hans-Dieter Mutschler erteilt diesem Weltbild eine radikale Absage. In seinem Buch "Halbierte Wirklichkeit. Warum der Materialismus die Welt nicht erklärt" beschäftigt er sich mit den Prämissen des materialistischen Monismus, der heute die allein seligmachende Voraussetzung dafür ist, als ernsthafter Wissenschaftler anerkannt zu werden und im Mainstream des modernen wissenschaftlichen Absolutismus bestehen zu können.

Dieser materialistische Monismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er aus Gründen einer erzwungenen Plausibilität wesentliche Aspekte menschlichen Lebens außer acht lässt und sich geradezu zwanghaft auf eine Letztbegründung durch die Materie kapriziert, die, ironisch genug, dabei das duale Wesen des Menschen, das sich gerade in den beiden Polen des geistigen und des materiellen manifestiert, nicht bemerken will.

Man muss nicht gleich, wie Mutschler es ausdrückt, von "Moden in Philosophie und Wissenschaft" sprechen, um dennoch zu erkennen, dass es historische Phasen gibt, die zu extremen Ansichten tendieren. So wie es zu Hegels Zeiten zum "guten Ton" gehörte, ausschließlich im Geist die allgemeingültige Wahrheit zu sehen, ist aktuell das Pendel des wissenschaftlichen Mainstreams in die andere Richtung ausgeschlagen und propagiert jetzt das Primat der Materie.

Dabei, und auch das ist wieder eine Ironie der reduktionistisch-materialistischen Realitätsvorstellung, gibt es keinen eindeutigen Materiebegriff in der Physik. Jede vorgebliche physikalische Letztbegründung hat sich bislang eher als weitere Tür zu weiteren Ergebnissen herausgestellt. Dass also die Physik irgendwann einmal das letzte Zimmer der Erkenntnis erreicht, ist mehr als fraglich.

Nun spricht das gerade nicht gegen den Wert und den Nutzen von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Im Gegensatz zu Richard Dawkins, Bernulf Kanitscheider oder Ulrich Kutschera, die boshaft bis bösartig gegen die Religion polemisieren, bestreitet Hans-Dieter Mutschler keineswegs die Bedeutung naturwissenschaftlicher Forschungen, doch, und das unterscheidet ihn von den materialistischen Monisten, er geht von einem nicht-reduktiven Menschenbild aus, das die aktuellen naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisse aufgreift und sie, zusammen mit einer, wie er es nennt, "narrativen Theologie der Natur" zu einem stimmigen und die Lebensrealität des Menschen nicht außer acht lassenden Entwurfs eines neuen Verständnisses des Zusammenwirkens von Geist und Materie vermittelt.

Es sind, um nur vier zu nennen, Begriffe wie Liebe, Glaube, Hoffnung und Kreativität, an denen die Vertreter des reduktionistisch-materialistischen Weltbilds nicht müde werden, sich abzuarbeiten. Folgt man den Ausführungen der materialistischen Monisten, dürfte es so etwas wie eine neue, noch nie da gewesene Idee überhaupt nicht geben, weil nach dem Kausalitätsprinzip, seit Hume gerne als "Zement des Universums" bezeichnet, ein materieller Weltzustand A die ausreichenden Voraussetzungen bietet, dass Weltzustand B obligatorisch eintritt.

In letzter Konsequenz würde das nichts weniger bedeuten, als dass die menschliche Freiheit auf dem Altar des reduktionistischen Monismus geopfert werden würde. Dann wäre der Mensch in der Tat nur eine Maschine, die nach ein für alle Mal festgelegten Regeln funktionieren würde. Ein Blick über die Nasenspitze des Materialismus hinaus beweist jedoch, dass es sich genau anders herum verhält. Der Mensch und nicht eine wie auch immer verstandene Materie setzt die Dynamik der Welt in Kraft - natürlich, und das bestreitet auch Hans-Dieter Mutschler nicht, immer innerhalb bestehender Naturgesetze.

Würde es ausreichen, ausschließlich die materiellen Voraussetzungen zu ändern, um einen bedeutenden und dauerhaften Vorteil zu erlangen, dann müsste, ganz polemisch betrachtet, das deutsche Bildungssystem eines der besten sein. Von diesem Zustand ist es jedoch, trotz intensiven Mitteleinsatzes, weit entfernt.

Ein radikaler Materialist würde jetzt wohl antworten, dass dies anscheinend im Weltzustand A nicht festgelegt war. So kann man die Welt auch betrachten - muss man aber nicht.

Hans-Dieter Mutschler hat das Wagnis unternommen, ein Buch gegen den offiziellen wissenschaftlichen Mainstream zu veröffentlichen. Der unvoreingenommene und Argumenten zugängliche Leser wird das zu schätzen wissen.




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Veröffentlicht am 2. März 2014