Buchkritik -- Johanna Niedbalski -- Die ganze Welt des Vergnügens

Umschlagfoto, Buchkritik, Johanna Niedbalski, Die ganze Welt des Vergnügens, InKulturA Zum Berlin der "langen Jahrhundertwende" gehörten seine großen Vergnügungsparks. Die Neue Welt in der Hasenheide, der Lunapark am Halensee, die Schönholzer Heide und andere, sie hatten in den Jahren zwischen 1880 und dem Beginn der 1930er Jahre ihre Blütezeit in einer sich rapide verändernden urbanen Welt und übten neben allem Amüsement auch eine wegbereitende Funktion für die sich transformierende Gesellschaft aus.

Vergnügungsparks waren, im Gegensatz zu Rummelplätzen, eingehegte Areale, die den Besuchern Unterhaltung, Spannung und Nervenkitzel boten, gleichzeitig jedoch durch Restaurantbetriebe und Getränkeausschank auch familiäres Beisammensein im Grünen ermöglichten. In erster Linie waren sie aber kommerzielle Unternehmen, die stets um die Gunst eines immer anspruchsvoller werdenden Publikums wetteifern mussten. Johanna Niedbalski hat diese Orte der urbanen Unterhaltungskultur detailliert analysiert und "Die ganze Welt des Vergnügens" mit ihren Akteuren, Besuchern und Betreibern in ihrem faktengesättigten Buch dargestellt.

Ein Mikrokosmos im sich wandelnden Berlin, dessen Faszination immer mehr Menschen anzog und dessen berufliche, gesellschaftliche und individuelle Möglichkeiten für ein stetes Anwachsen der Bevölkerungszahlen sorgten, das waren die Vergnügungsparks. Die "lange Jahrhundertwende" war gekennzeichnet durch technische Innovationen bei gleichzeitiger Veränderung urbaner Lebensentwürfe und diese Orte partizipierten an diesem Wandel und sorgten gleichzeitig durch die von ihnen angebotenen Attraktionen für eine aufmerksame Rezeption neuer Techniken.

Die großen Vergnügungsparks, so eine These von Johanna Niedbalski, waren ebenfalls ein Forum, auf dem die Menschen der Großstadt hautnah und pointiert mit den Errungenschaften der modernen Welt auf eine, gegenüber dem Alltagsleben angenehmere Weise konfrontiert wurden. Ob es sich um die Möglichkeit handelte, für wenige Minuten den Reiz der neuen automobilen Welt zu spüren, sich von Fahrtreppen bewegungslos bewegen zu lassen, das urbane Großstadtdrängeln hier fast spielerisch zu erleben oder dem neuen Bedürfnis, heute würden wir von Hype sprechen, exotische Auf- und Erreger zu erleben, von Automatenrestaurants und Großgastronomie ganz zu schweigen, immer waren die Betreiber der Parks nah am Zeitgeist und bedienten damit sowohl den Geschmack eines Massenpublikums als auch dessen Neugier auf technische, artistische und künstlerische Darbietungen auf hohem Niveau.

Neben dem stets im Vordergrund stehenden kommerziellen Erfolgszwang und die daraus resultierenden notwendigen Besucherzahlen, fand jedoch keine gesellschaftliche Nivellierung statt. Im Gegenteil, die soziale Rangordnung blieb bis auf wenige Ausnahmen erhalten. Sei es, dass die Betreiber sie durch die Gestaltung der Eintrittspreise erreichten, oder, nur von den oberen Zehntausend konnte weder die Neue Welt noch der Lunapark wirtschaftlich erfolgreich sein, zumindest durch das gastronomische Angebot - Weinzwang in der ersten Etage - steuerten. Trotzdem waren die Berliner Vergnügungsparks ein, spielte denn das Wetter mit, beliebte Ausflugsziele für die städtische Bevölkerung.

Auf fast fünfhundert Seiten untersucht Johanna Niedbalski die urbane Vergnügungskultur der "langen Jahrhundertwende" und analysiert sowohl die Interessen der Betreiber, die natürlich auf kommerziellen Erfolg ausgerichtet waren als auch die Reaktionen der Besucher auf die angebotenen Attraktionen. Wem das noch nicht reicht, der findet im umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis weitere Informationen.




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Veröffentlicht am 30. Juni 2018