Buchkritik -- Peter-André Alt -- Ästhetik des Bösen

Umschlagfoto  -- Spätestens seit Hans Sedlmayrs Buch Verlust der Mitte: Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit weiß man um den Bruch, der die Gegenwart als Ergebnis einer "inneren Katastrophe" bestimmt. Was Sedlmayr anhand der bildenden Kunst zeigte, lässt Peter-André Alt, wenn auch mit einer differenten Intention, für die Literatur Revue passieren. In seinem Buch Ästhetik des Bösen geht er der Frage nach, wo das "Böse" nach dem Ende der theologischen und kirchlichen Höllen- und Dämonenvorstellungen geblieben ist.

Die mit dem Beginn der Aufklärung stattgefundene philosophische Abschaffung des aus der Religion begründeten Bösen, hat seitdem einen weitaus bedeutenderen Niederschlag in der Literatur gefunden, als es dem religiösen Verständnis jemals gelungen war. Das Böse war nicht mehr im direkten Verhältnis zwischen Gott und den Menschen angesiedelt, sondern es war von nun an in der Psyche, in der Innerlichkeit des Individuums angelegt. Die religiösen Schrecken des Glaubens, so disziplinierend sie auch sein sollten, verblassten vor den Schilderungen menschlicher Abgründe und Triebe.

Seit der Romantik war es gestattet, dem Bösen, das bis dahin künstlerisch und literarisch immer auf der Seite der Negativität stand, eine ästhetische Dimension zu verleihen, die Grausamkeit, Mord, Perversität, etc. im wahrsten Sinn salonfähig machte. Zusätzlich zum Schauer des Verbrechens wurden die nunmehr offenen Schleusen einer neuen Innerlichkeit ein willkommener Ersatz für die nicht mehr vorhandenen Schauer des religiös Erfahrbaren. Dass von nun an Schriftsteller die Grenzen zwischen Wahn und Realität beliebig überschreiten konnten, um dem begierigen Publikum anstelle kirchlichen Trostes die vermeintlich abgründigen Weiten des menschlichen Geistes zu demonstrieren, war ein tiefenpsychologischer Fortschritt mit ambivalenter Brisanz.

Peter-André Alt zieht in seinem umfangreichen, wohl als thematisch abschließendes Werk gedachtes Buch denn auch alle Register literarischer Bösewichter. Jeder Dichter und Schriftsteller, der einen Schurken erschaffen hat, ist bei Alt vertreten. Jean Paul ebenso wie de Sade. Von Sacher-Masoch, Wilde, Poe, Kafka, Malaparte, bis zu Kertész und Littell ist alles vertreten, was Gewalt und Trieb aufzuweisen hat.

Ästhetik des Bösen behandelt mit akademischer Akribie die Abgründe menschlicher Existenz in literarischen Produktionen. In dem hier vorgelegten Umfang ist das eine bislang einzigartige Arbeit, die wohl zu Recht als Standardwerk Geltung erlangen wird.




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