Buchkritik -- Philosophie Magazin -- 04/2018

Umschlagfoto, Buchkritik, Philosophie Magazin, 04/2018, InKulturA "Wenn zwei das Gleiche wollen, so ist das nicht dasselbe." Wie weise war und wie aktuell ist diese Sentenz des römischer Dichters und Lustspielautors Terenz. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau steckt offenbar in einer tiefen Krise. Mit der "MeToo"-Debatte, ausgelöst durch Vorwürfe sexueller Belästigung und sogar Vergewaltigung gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, der seine Machtposition ausgenutzt haben soll, um Frauen zum Sex zu zwingen, hat die Diskussion über die Beziehung zwischen Männer und Frauen einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

So stellt das Philosophie Magazin in seiner aktuellen Ausgabe bezüglich der Irrungen und Wirrungen, der Verunsicherung auf beiden Seiten die provokante Frage, "Wollen wir dasselbe?" In der Tat bekommt so mancher Zeitgenosse – bewusst in männlicher Form benutzt – derzeit den Eindruck, als würde der Mann, vornehmlich der weiße, chauvinistische, geile und überhaupt "alte Säcke", so Harald Welzer, zum Sündenbock für alle Übel der Welt gemacht.

Höchste Zeit also etwas Ordnung ins, hauptsächlich akademisch inszenierte Chaos zu bringen. Tatsache ist, der Verhaltensbiologe Markus C. Schulte weist darauf hin, es existieren natürliche Unterschiede zwischen Mann und Frau. Die jedoch, so die Soziologin Sabine Hark, sind in Wirklichkeit "machtgetriebene kulturelle Konstruktionen", deren Ursprünge in den ökonomischen Bedingungen des Kapitalismus zu finden sind.

Die französische Feministin Virginie Despentes wirft Männern vor, ihre eigene Sexualität nicht zu verstehen, die sie wie "etwas Magisches überfällt". Autsch, das hat gesessen! Könnte dagegen etwa, wie ihn Nils Markwardt präferiert, ein "sexueller Gesellschaftsvertrag" helfen, der ein "Hebel zur finalen Befreiung des Begehrens" wäre? Fragen über Fragen.

Eines ist jedoch klar: das festgefügte Rollenbild Mann/Frau ist zum Glück schon längst begraben und bietet beiden Geschlechtern, gerade wegen der biologischen Unterschiede und trotz gesellschaftlicher Determinanten, weitaus mehr Chancen als die von den Gender Studies im Soziokulturellen verorteten Restriktionen.

Dass es einen Zusammenhang zwischen Macht, Abhängigkeit und Sex gibt, ist evident. Es ist das große Verdienst der "MeToo"-Bewegung, dies artikuliert und die Gesellschaft dafür sensibilisiert zu haben. Übrigens, nicht nur Frauen sind Opfer männlicher Allmachtsphantasien. Nicht wenige Mitglieder von Boygroups kennen bezüglich ihrer Produzenten ebenfalls das Phänomen "offener Bademantel". Und doch beschleicht den aufmerksamen Beobachter des Zeitgeistes die Frage, ob nicht eine robuste Reaktion, will sagen, eine Ohrfeige zu rechten Zeit, nämlich sofort nach unerlaubtem Grapschen, die Angelegenheit ein für allemal geklärt hätte. Aber wer verzichtet schon gerne auf den roten Teppich, opulente Gagen und das Klicken der Kameras...?

Eines fällt jedoch auf, sexuelle Belästigungen oder Schlimmeres, so jedenfalls der Tenor der offiziell geführten Diskussionen, werden ausschließlich, um nochmals Harald Welzer zu zitieren, von weißen "alten Säcken" verübt, sind also per se ausschließlich ein Problem der westlichen Welt. Ein Blick auf die (deutsche) Kriminalstatistik zeigt jedoch, dass, ich formuliere es vorsichtig, die überwiegende Mehrzahl dieser Taten von denen verübt werden, die "noch nicht so lange hier leben".

Wenn also Nils Markwardt bezüglich einer "Kultur des Konsens" schreibt, "Tiefe Dekolletees können vor allem dann getragen werden, wenn klar ist, dass sie keine Einladung zum ungefragten Antouchen darstellen", stellt sich schon die Frage, warum es inzwischen zur gesellschaftlichen Normalität gehört, dass es vor allem in Großstädten Areale gibt, in denen bereits das Tragen kurzer Röcke zu "kulturellen Missverständnissen" führen kann - und diesbezüglich die akademische Diskussion sehr laut schweigt.

Tiefe Dekolletees und kurze Röcke sollten überall getragen werden dürfen, da sie eines ganz gewiss nicht sind, eine Einladung zum unerlaubten Anfassen, sondern Ausdruck real gelebter weiblicher Freiheit. Ist nicht gerade diese ein Ziel des Feminismus?

Nassim Nicholas Taleb, der mit seinem 2007 erschienenen Buch "Der Schwarze Schwan" und die Macht unvorhergesehener Ereignisse den Börsencrash 2008 prognostizierte, bringt in seinem Interview eine wünschbare ethische Maxime auf den Punkt. "Moralisch ist, wer seine Haut (oder sein Geld) aufs Spiel setzt."

Die in wenigen Wochen in Russland stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft wirft auch im Philosophie Magazin ihre Schatten voraus. "Der lange Ball wird eine Renaissance erleben", so Wolfram Eilenberger. Na dann hau ihn rein Mann!





Veröffentlicht am 13. Mai 2018