Buchkritik -- Harry Collins/Trevor Pinch -- Der Golem der Technologie

Umschlagfoto  -- Harry Collins/Trevor Pinch  --  Der Golem der Technologie Im beginnenden 21. Jahrhundert ist das Ansehen der Technik dem der Bedeutung der Technik für unser aller Leben diametral entgegengesetzt. War sie noch vor nur 30 Jahren gefeiert und uneingeschränkt für notwendig und nützlich erklärt, so wird sie heute argwöhnisch beäugt und mit unreflektierter Furcht gesehen. Zu viele Katastrophen und Unglücke sind seitdem geschehen. Bopal, Tschernobyl, aber auch, obwohl nicht direkt mit der Technologie zusammenhängend, BSE und die Pandämie Aids zeigen der Welt und den Menschen, daß der Siegeszug von Technik und Wissenschaft erst einmal gestoppt wurde.

Wie konnte es geschehen, daß sich das Bild von der Technik in so kurzer Zeit derartig radikal geändert hat? Waren die Erwartungen an sie zu hoch, hat sie sich zu sehr von den Problemen der Menschen abgewandt, oder ist sie selber das Problem? Tatsache ist jedenfalls, daß immer mehr Menschen der Technologie ablehnend gegenüber stehen.

In ihrem erfolgreichen und weithin diskutierten ersten Golem-Band Der Golem der Forschung haben Harry Collins und Trevor Pinch die Naturwissenschaft mit dem Golem verglichen, jenem starken mythischen Wesen, das zwar nicht böse ist, infolge seiner plumpen Unbeholfenheit jedoch sehr wohl gefährlich werden kann. In sieben Fallbeispielen zeigten sie, daß gerade die Fehlbarkeit und Subjektivität der Wissenschaft der Grund für ihre enorme Produktivität und damit ihren eigentlichen Wert ist. Auch in ihrem zweiten Golem-Band zerstören die beiden Autoren einen Mythos. Zwischen den Unvollkommenheiten in der Technologie, also der angewandten Wissenschaft, und den im ersten Band beschriebenen Ungewißheiten in der Naturwissenschaft besteht ein Zusammenhang: Schwierigkeiten entstehen immer dann, wenn Menschen involviert sind, vor allem wenn diese persönliche Interessen verfolgen. Ganz unterschiedliche Beispiele weisen dieses Muster auf: So geht es um die Rolle der Patriot-Raketen während des Golfkriegs, um die Challenger-Katastrophe, um Tests mit Kernbrennstoffbehältern und gelierendem Kerosin, um den Umgang mit Wirtschaftsmodellen, um die Fragen, wie Erdöl entstanden ist oder welche Folgen die Katastrophe von Tschernobyl für die Schafzucht im englischen Cumbria hatte, und darum, wie offensiv erworbenes und vertretenes Laienwissen die Behandlung von Aids entscheidend voranbrachte. Erneut wollen Collins und Pinch eine Brücke zwischen den beiden Kulturen der Naturwissenschaft und der Sozial- und Geisteswissenschaften schlagen. Dabei versuchen sie, Wissenschaft als ein Produkt sozialen Lebens zu ergründen und zu zeigen, daß die kritische Analyse von Wissenschaft und Technologie durchaus nicht nur für Wissenschaftler ein aktuelles Anliegen ist.

Soweit der Klappentext dieses Buches. Er verspricht nicht zuviel. Auf unterhaltsame Weise zeigen beide Autoren die Widersprüche, die sich aus der Diskrepanz zwischen Fachwissen und zwischenmenschlicher Interaktion ergeben, ja sogar zwangsläufig daraus folgen müßen. Das Buch nimmt für keine der beiden Seiten eindeutig Stellung, sondern wird nicht müde zu betonen, das einseitige Technikgläubigkeit genauso fehl am Platze ist, wie die Verteufelung der Wissenschaften.

Wie so oft im Leben kommt es auf die richtige Mischung an. Technik und Naturwissenschaft auf der einen Seite müßen den Dialog mit den Geistes- und Sozialwissenschaften suchen und umgekehrt. Die Probleme der Welt sind zu komplex geworden, um sie mit ausschließlich einseitigen Lösungsvorschlägen beheben zu wollen.

Ganz besonders gur gefallen hat mir das Kapitel 5: "Gute, neue Mär. Die sieben Weisen und die Wirtschaftswissenschaften.". Besser und ironischer kann man Unsinn von Wirtschaftsentwicklungsprognosen nicht beschreiben. Ich habe oft schallend gelacht. Einen besseren Artikel über sogenannte Fachleute habe ich selten gelesen.




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