Buchkritik -- David Graeber -- Schulden - Die ersten 5000 Jahre

Umschlagfoto  -- David Graeber, Schulden - Die ersten 5000 Jahre, InKulturA Was soll der Leser von einem Buch halten, dessen Autor auf den ersten Seiten allen Ernstes behauptet, eine Unterhaltung mit einer engagierten Anwältin geführt zu haben, deren Aufgabe es ist, Gruppen, die gegen Armut kämpfen, juristisch zu beraten und die zufällig noch nie vom IWF, vom Internationalen Währungsfonds gehört hat? Diese Aussage erweckt bezüglich der folgenden Gedanken und Ausführungen kein besonders großes Vertrauen in die Arbeit des Autors.

David Graeber, der Star der Occupy-Bewegung, hat ein voluminöses Buch über Schuld und Schulden machen, über Markt und Staat und den Zusammenhang von Geld und Krieg geschrieben, das sich nichts weniger vornimmt, als das Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger als das eines zwischen Herr und Knecht zu definieren und am Schluss die Pflicht zur Rückzahlung von Schulden schlicht negiert.

Der Autor, bekennender Anarchist, Anthropologe und Kommunist, nimmt den Leser auf eine Reise durch die Jahrtausende mit, in deren Verlauf Graeber sowohl die Geldtheorien als auch die Entwicklung der Marktwirtschaft als Ausdruck staatlicher monetärer Diktatur beweisen will.

Wer bislang immer der Meinung war, dass nur Soziologen es verstehen ausschweifend und selbstverliebt zu schwadronieren, der wird durch das Buch von Graeber eines Besseren belehrt. So erfahren wir viel über die Gewohnheiten der Lele und der Tiv, beides indigene afrikanische Völker und ihre manchmal pittoresken Heiratsbräuche und ihr Verständnis vom Erwerb der Dinge. Über die Hälfte des Buches benötigt der Autor für anthropologische Vergleiche und historische Bezüge, die, was für ein Wunder, bislang nur ihm selber aufgefallen sind.

Auffällig ist ebenfalls die selektive Wahrnehmung des Autors, wenn es um die Vereinbarkeit historischer Fakten mit seinen eigenen Ansichten geht. So ist zwar das islamische Wirtschaftsmodell für ihn ein beispielhaftes, weil der Staat (sic) sich aus demselben heraushält, doch als gelernter Anthropologe sollte er wissen, dass es so etwas wie Staat im Verständnis des Islam überhaupt nicht gibt. In diesem Zusammenhang weist er gern auf den Sklavenhandel des frühen Europas hin und blendet das einträgliche Geschäft des islamischen Sklavenhandels, das noch lange, nachdem der Sklavenhandel von der westlichen Welt geächtet wurde,gewinnträchtig betrieben wurde, vollständig aus.

Auf diese Weise eklektisch mit Versatzstücken aus fremden Federn versorgt, will David Graeber dem Leser Folgendes mitteilen: Erst der Staat schafft das Münzgeld, erst danach entstehen Märkte, die ihrerseits wiederum staatliches Handeln provozierten. Durch die Einführung von Geld und der Verpflichtung durch Steuern und Abgaben dann auch geschäftliche und private Schulden zu monetarisieren, würden die "humanen Ökonomien" zerstört. "Humane Ökonomien" sind für Graeber diejenigen, die Verpflichtung nicht durch Zins und Zinseszins berechnen, sondern die auf dem Prinzip Vertrauen, Nachbarschaft und Liebe aufgebaut sind - für den Autor die Urform des Kommunismus.

So ist besteht dann auch sein Credo in der Aussage, dass niemand dazu verpflichtet ist, seine Schulden zuzahlen zu müssen. Das macht ihn natürlich zum Star der Occupy-Bewegung, geht jedoch total an der bewährten Theorie der Vertragsfreiheit zweier Individuen vorbei. Schuldner und Gläubiger sind - theoretisch - freie Personen, die sich auf dem Markt begegnen und einen Vertrag abschließen.

Gerade der "einfache Mann", den der Autor wie auf einem Schild vor sich herträgt und in dessen Interesse er sprechen will, wäre, würde Graebers Theorem angewendet, der eigentliche Verlierer. Ihm würde, wäre er ein begnadeter Erfinder, es nicht gelingen, seine Ideen auf den Markt zu bringen, wenn er nicht einen Finanzier finden würde. Das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ist ein anderes, als der Autor es wahrhaben will. Es ist nicht so sehr ein Abhängigkeitsverhältnis, als vielmehr ein Vertrauensverhältnis. Nicht umsonst ist der Kreditgeber ein "Gläubiger", denn er traut dem Schuldner die Rückzahlung zu.

Auch mit dem von ihm geforderter radikalen Schuldenerlass in der Tradition des biblischen Sabbatjahres liegt er falsch. Als Anthropologe sollte er wissen, dass in der hebräischen Kultur in diesem Jahr weder Kredite fällig noch vergeben wurden. Die Gläubiger waren ja nicht so blöd, wie der Autor es vermutet.

David Graebers Annahme, erst der Staat schaffe die Märkte, ist ebenso falsch wie seine Aussage bezüglich des Verhältnisses zwischen Schuldner und Gläubiger. Dort, und das auch bereits in vorgeschichtlicher Zeit, wo Menschen aufeinandertreffen, sind Märkte zu finden. Nicht der Staat schafft den Markt, sondern der Markt schafft den Staat. Erst durch das Vertragsverhältnis zwischen zwei Menschen entsteht die Idee des Staates.

"Schulden - Die ersten 5000 Jahre" ist aus mehreren Gründen ein ärgerliches Buch. Zum einen ist es die willkürliche Art und Weise wie Graeber mit historischen Fakten umgeht, zum anderen ist es die mediale Inszenierung und die Lancierung dieses Werkes auf dem deutschen Büchermarkt. Nahezu kritiklos wird Graeber als Kämpfer gegen Globalisierung und die Macht der Banken präsentiert. Dabei bleiben leider die Tatsachen auf der Strecke. Nicht umsonst ist der Autor die Lichtgestalt der Occupy-Bewegung, hat die doch ebenfalls in der Sache stark verkürzte oder sogar falsche Ansatzpunkte.

Die (Finanz)Welt befindet sich ohne Zweifel im Würgegriff von Banken und Hedgefonds, die jenseits von Moral und Recht agieren. Soweit ist dem Autor Recht zu geben. Leider weiß Graeber anscheinend nicht, dass jede Münze zwei Seiten hat. Die Seite, die er vollkommen auslässt, ist die Verantwortung, die die Politik für die Auswüchse des globalen Finanzkapitals trägt. Nicht den Banken ist primär die Politik des Fiat-Money geschuldet, sondern dem rapide steigenden Finanzbedarf der jeweiligen Länder. Eine schlechte Wirtschafts- und Finanzpolitik im Verein mit üppigen Geschenken an das westliche Wahlvolk war der eigentliche Auslöser der Finanzkrise. Die Staaten sind die Junkies und die Banken sind die Dealer. Eine verhängnisvolle Konstellation, wie wir seit dem Jahr 2008 wissen.

Dazu hat David Graeber anscheinend nicht zu sagen. Der von ihm geforderte globale Schuldenerlass ohne eine Politik, die sich radikal verändert und die sich wieder darauf besinnt, die richtigen Rahmenbedingungen durchzusetzen, ist jedenfalls keine Lösung.




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