Buchkritik -- Peter Sichrovsky -- Der Antifa-Komplex

Umschlagfoto  -- Peter Sichrovsky  --  Der Antifa-Komplex Das 20. Jahrhundert stellt sich in der Rückschau dar als ein Jahrhundert der politischen Theorien. Sozialismus, Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus, Stalinismus seien stellvertretend für alle "...ismen" genannt, welche die Geschichte Revue passieren lies. Alle großen "...ismen" spalteten sich wiederum in mehr oder wenig erfolgreiche kleine "...ismen", die Begriffe wurden mit der Zunahme der politischen Theorien immer ungenauer und verwaschener. Die Etikettierung von politischen Positionen bestand aufgrund der Vielzahl von Anschauungen oftmals nur noch aus leeren Worthülsen.

Alle Theorien konnten den Erfolg des Nationalsozialismus nicht verhindern. Als die eigentlichen Schuldigen des Scheiterns des politischen Widerstandes entlarvt Peter Sichrovsky in seinem Buch "Der Antifa-Komplex" Sozialismus und Kommunismus. Beide kämpften ausschließlich gegeneinander und nicht gegen die gemeinsame Gefahr des Faschismus.

Von eben diesem Versagen leitet Sichrovsky die moderne Antifa ab. Neurotisiert durch das Scheitern der Vätergeneration, die eben auch in vielen Fällen die Tätergeneration gewesen war, machten sich die 68'er daran, ein, in ihren Augen, korrektes Weltbild zu schaffen. Sie, die ewigen Theoretiker, beschlossen, daß ihr Weltbild fortan ein korrektes sei, alle anderen (nicht 68'er) jedoch unfähig zur kritischen Reflektion sind und aus diesem Grund ihre (die der 68'er) politischen Führung brauchen.

Heute, nach dem "Marsch durch die Institutionen", selber zum politischen Establishment geworden, gehen sie juristisch und politisch auf eine Weise gegen die moderne Protestkultur vor, die sie damals immer bekämpft haben. Moralisch auf den Podest der Unfehlbarkeit stehend, beurteilen sie moderne Protestformen ausschließlich danach, ob sie für oder gegen die Antifa ist. Jeder der Argumente gegen die Vorgehensweise der Antifa hervorbringt, ist in ihren Augen automatisch ein Faschist.

Ein wesentlicher Fehler der Antifa ist, so Sichrovsky, die Einseitigkeit der politischen Betrachtungsweise. Stalins brutale Umsiedlungspolitik, Pol Pot und die Roten Khmer, die Massaker in Rot-China, um nur wenige zu nennen, interessierten noch nicht einmal am Rand. In der Argumentation der Antifa kommen sie jedenfalls nicht vor. Dagegen: "Jeder lächerliche rechte Rülpser eines Jugendlichen, der nach ein paar Flaschen Bier "Heil Hitler" rief, war den Antifaschisten eine größere Bedrohung als die fundamentalistischen Diktaturen im Iran, in Afghanistan und im Sudan."(S. 99).

Die Generation der 68'er, die Kinder der Täter, waren gezwungen ihre Unschuld laut zu propagieren, um allen zu zeigen, daß sie anders wären als ihre Väter. Daraus resultierte ein neurotischer Zwang zum ständigen Beweis des eigenen "Anders-sein". Für Peter Sichrovsky ist der Antifa-Komplex gefangen in seiner eigenen ideologischen Verblendung; die Theorie ist wichtiger als die moralische Verantwortung. Die Antifa ist überholt und unmodern, weil sie keine Lösungen anbietet, sondern ausschließlich ihre eigenen Theorien für absolut hält.

Das Buch ist gerade im Hinblick auf die derzeitige hektische und polarisierende Diskussion wichtig, weil es darauf hinweist, das es allemal besser ist, sich an Fakten zu orientieren und nicht an Halbwahrheiten. Da zur Zeit die "Wahrheit" auschließlich in den Händen von einigen selbsternannten Intellektuellen zu liegen scheint, die sich zudem dem Dialog entziehen, plädiert Sichrovsky für eine stärkere Beteiligung des "normalen Bürgers" an den politischen Diskussionen.

"Deutschland wird erst dann in der Welt als völlig rehabilitiert von der Nazizeit auftreten können, wenn eine NSDAP bei der Wahl um Stimmen wirbt und sie niemand wählt" (S.159).

Peter Sichrovsky hat ein wichtiges Buch über das Verhältnis der Deutschen zu sich selber und zu ihrer Geschichte geschrieben.




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