Umschlagfoto, Deborah Feldman, Unorthodox, InKulturA Religion, tritt sie im Gewand fundamentalistischer Auslegung auf, ist ein Apparat, der zum Funktionieren Mechanismen aus Kontrolle und Unterdrückung benötigt. Der Preis für eine wie auch immer aussehende Auserwähltheit durch Gott ist hoch und nur durch rigide Einhaltung von Speisegeboten, die in der Regel Speiseverbote sind, und, zumeist bei männlichen Gläubigen, Körperverletzungen zu entrichten.

Einer dieser hermetisch geschlossenen Kreise ist die chassidische Satmar Gemeinde, die, durch den Holocaust in Europa fast vernichtet, 1946 durch Joel Teitelbaum in New York wiederaufgebaut wurde. Aktuell hat die chassidische Gruppierung der Satmar geschätzte 120.000 Mitglieder, die meisten davon leben in Williamsburg, einem Stadtteil des New Yorker Bezirks Brooklyn.

In dieser sich gegen äußere Einflüsse abschottenden Gemeinde wächst Deborah Feldman auf und gerät bereits früh in einen Konflikt zwischen eigenen kritischen Reflektionen und des vordergründig gelebten religiösen Lebens ihres gesellschaftlichen Umfeldes. Die Regeln sind eindeutig und die zahlreichen Vorschriften streng. Englisch gilt als unreine Sprache, die Welt außerhalb der Gemeinde als sündhaft, die Frau als dem Mann untergeordnet und Sexualität und Entfaltung des Individuums als anstößig.

"Unorthodox" ist der erschütternde Bericht über eine Adoleszenz, die, stets in Gefahr den "rechten" Weg zu verlassen und gegen religiöse Gebote zu verstoßen, einem Martyrium glich und das Individuum in einem langwierigen Prozeß aus seiner angeborenen menschlichen Freiheit zu einem im Sinn der Gemeinde funktionierenden Wesen zu transformieren. Während es für die männlichen Mitglieder trotz aller Ge- und Verbote zahlreiche Freiräume gibt, ist das Leben der Frauen auf Reproduktion und Haushaltsführung beschränkt.

Die autobiographischen Schilderungen der Autorin zeigen den Kampf Feldmans, die, hin- und hergeworfen zwischen den Polen religiöser und gesellschaftlicher Pflichterfüllung einerseits und Aufbegehren gegen Bevormundung und frommer Heuchelei andererseits, ihren Weg aus den Zwängen eines starren, die menschliche Freiheit negierenden Glaubens findet.

Ein ums andere Mal fühlt der Leser sich genötigt, das Buch aus der Hand zu legen um sich zu vergewissern, dass er es mit einem Text zu tun hat, dessen Inhalt vom Leben einer religiösen Gemeinschaft an der Schwelle zum 21. Jahrhundert erzählt und es sich nicht um eine Schrift aus längst vergangener Zeit handelt. So ungeheuerlich, so unfassbar und so unerträglich ist das, was Deborah Feldman dem Leser zu berichten hat.

Arrangierte Ehen, Unkenntnis bezüglich des eigenen Körpers und eine früh beginnende Konditionierung des weiblichen Geschlechts hinsichtlich des Gehorsams gegenüber dem Mann. Dabei gibt es, die Autorin schildert das mit jugendlichem Staunen, Ausnahmen für die es auch in einer abgeschlossen Gruppe gebenden "Gleicher sein als andere" Familien, die ihren Status weniger durch gelebte Frömmigkeit, als vielmehr durch familiäre Bande zu den religiösen Führern oder materiellem Wohlstand demonstrieren.

"Unorthodox" ist die Schilderung einer schmerzhaften Befreiung von religiösen Fesseln, die sich jedoch nicht als Abwendung von Gott manifestiert - "Deshalb brauche ich Gott auf meiner Seite; ich habe niemand anderen, der zu mir hält." - sondern die vehemente Distanzierung von dem im Namen Gottes verübten Unrecht gegen den Menschen.




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Veröffentlicht am 12. März 2016