Buchkritik -- Catharina Aanderud -- Weniger ist mehr

Umschlagfoto  -- Catharina Aanderud  --  Weniger ist mehr, InKulturA Bücher müssen manchmal einen langen Weg hinter sich bringen, bevor sie die Aufmerksamkeit und das Interesse eines größeren Lesepublikums erwecken. Das Buch "Weniger ist mehr" von Catharina Aanderud hat solch einen Weg nehmen müssen und es ist dem Classicus Verlag zu verdanken, dass diese intelligente Kultur- und Gesellschaftskritik erneut ihren Kurs in Richtung Leserschaft genommen hat.

Obwohl das Buch bereits im Jahr 1998 seine Erstveröffentlichung hatte, sind die darin von der Autorin angesprochenen Aspekte moderner menschlicher Nichtverortung aktueller denn je. Wir, die wir so gern stolz damit prahlen, unser Leben im Griff zu haben, perfekt zu funktionieren, immer bestens informiert zu sein und überhaupt in jeder Beziehung auf der Höhe der Zeit zu sein, sind, wenn die dunkle Stunde kommt, wenn ein Gefühl der Leere sich in uns breitmacht, gar nicht mehr so sicher, ob das Leben, so wie wir es führen, so wie wir meinen gezwungen zu sein, es zu führen, dasjenige ist, dass wir uns einmal - vor gefühlter Unendlichkeit - vorgenommen haben zu leben.

Das Hetzen von Termin zu Termin, privater und beruflicher Stress, dazwischen die schwerwiegende Entscheidung, welche Diagonale der Plasma-Fernseher haben soll oder welches Kreuzfahrtschiff diesmal gebucht werden könnte, immer das Handy am Ohr, denn schließlich sind wir der Meinung, überall und zu jeder Zeit erreichbar sein zu müssen, treibt uns und damit die westliche Welt in einen Teufelskreis, der für die meisten wohl erst mit dem Zusammenbruch von Körper und Geist schmerzhaft beendet wird.

Wir sind ohne Frage reich an materiellen Dingen und doch in Wirklichkeit so arm, dass wir viel Geld dafür bezahlen müssen, um uns von Psychologen und sonstigen Lebensberatern wieder fit machen zu lassen für die tief im Inneren so gehasste Tretmühle des Alltags. Ohne Personal Assistant, der von Indien aus an Termine und wohl auch an den Geburtstag der Ehefrau erinnert, wäre so mancher Manager hilflos.

Catharina Aanderud hält dem modernen, äußerlich funktionierenden Zeitgenossen den Spiegel vor und greift dabei so ziemlich in jede Wunde des westlichen Lebensstils. Es gibt eigentlich keinen Satz in ihrem Buch, dem man nicht zustimmen könnte und aus diesem Grund ist ihre Botschaft "Zurück zum eigenen Maß" eine, im besten Sinn des Wortes, konservative Bewertung moderner Befindlichkeiten.

Unsere Zeit hat, und darin ist der Autorin uneingeschränkte Zustimmung sicher, jegliches Gefühl für Maß und Mitte verloren. Die Frage, ob das eine geistige Zivilisationskrankheit industrieller Länder ist, lässt Catharina Aanderud aus gutem Grund unbeantwortet, zeigt jedoch diskret Möglichkeiten auf, diesen zivilisatorischen Fallen zu entgehen oder sich aus ihnen zu befreien.

"Weniger ist mehr" tritt nicht als polternder "So müsst Ihr das machen" Ratgeber auf, sondern die überzeugende Stärke dieses Buches liegt in den sanft und behutsam ausgesprochenen, mitunter ironischen Bemerkungen zum individuell gelebten Irrsinn dessen, was man unter zeitgeistgerechtem Verhalten versteht. Eine prima Lektüre, nicht nur für dunkle Stunden.




Meine Bewertung:Bewertung