Buchkritik -- Jörg Friedrich -- 14/18 - Der Weg nach Versailles

Umschlagfoto, Jörg Friedrich, 14/18 - Der Weg nach Versailles, InKulturA Wenn ein Historiker, der sich mit der jüngeren deutschen Geschichte beschäftigt, zu vollkommen anderen Schlüssen gelangt, als der wissenschaftliche Mainstream, der hat, besonders im Fall der Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Konsequenzen zu befürchten.

Seit dem Erscheinen des Buches "Griff nach der Weltmacht" des Hamburger Historikers Fritz Fischer schien die Schuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg als erwiesen und über jeden Zweifel erhaben, der Vertrag von Versailles als gerecht und die daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen Deutschlands als angemessene Strafe für die Kriegstreiberei unter Kaiser Wilhelm II. und dem preußischen Militarismus.

Seit einiger Zeit ist allerdings zu beobachten, dass die historische Forschung sich bemüht, die ideologischen Barrieren zu durchbrechen und sich, wie es eigentlich ihr Metier sein sollte, auf die historischen Tatsachen der Ursachen der verheerenden Jahre von 1914 bis 1918 besinnt.

Jörg Friedrich zeigt in seinem Buch "14/18 - Der Weg nach Versailles", dass der Kriegsausbruch die Ursache vieler verschiedenen Faktoren gewesen ist. Nach dem Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 auf den österreichischen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin Sophie Chotek, war es ein Versagen von Politik und Diplomatie, das, ausgehend von den unterschiedlichen nationalen Interessen Russlands, Englands und Frankreichs und Deutschlands, und, wiederum geschürt durch eine verhängnisvolle Bündnispolitik der europäischen Mächte, gegenseitiges Misstrauen und anti-deutschen Ressentiments auf Seiten Frankreich und Englands, das dafür sorgte, dass aus einem lokalen Ereignis, wie es das Attentat des Gavrilo Princip gewesen ist, ein Flächenbrand ungeheuren Ausmaßes werden konnte.

Die Faktenlage ist umfangreich und Jörg Friedrich bedient sich ihrer ohne die üblichen ideologischen Scheuklappen. Es geht ihm weniger um eine inquisitorische Abhandlung über die Schuldigen des ersten europäischen Fanals, sondern vielmehr um die unheilvollen Mechanismen, die, einmal in Gang gesetzt, dafür sorgten, dass sich ein regionaler Konflikt zu einem Weltbrand entwickeln konnte.

Mit fast literarischer Diktion - die leider auch manchmal zum Selbstzweck wird - sichtet Friedrich die historischen Spuren, die über Ostpreußen führen, Mazedonien und Ägypten ebenso einschließen, wie auch Bosnien, Galizien und Flandern und die mit dem Eintritt der USA in den Konflikt ihr vorläufiges Ende fanden.

Vieles Unbequeme fördert Friedrich zutage; Der Neid Englands auf einen wirtschaftlich, sozial und militärisch erfolgreichen Konkurrenten. Der Revanchismus Frankreichs für die Niederlage 1870/71 und dessen Unterstützung Russlands und seiner politisch-militärischen Interessen. Nicht nur der Zweite, sondern auch der Erste Weltkrieg hatte viele Väter, deren nationale Söhne für die Unfähigkeit der Politik auf den Schlachtfeldern verbluten mussten.

Er zeigt die Schrecken des Krieges plastisch und niemand der Heutigen kann sich vorstellen, dass anlässlich des Kriegsausbruchs eine Welle kollektiver Begeisterung durch die europäischen Nationen fegte und die mit dafür verantwortlich gewesen ist, die Welt in Brand zu setzen.

"14/18 - Der Weg nach Versailles" von Jörg Friedrich räumt mit der - falschen - Vorstellung von der Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg auf. Die deutsche Führung gab jedoch mit der Besetzung Belgiens, die, als militärische Notwendigkeit im Schlieffen-Plan festgelegt, eine Steilvorlage für die Propaganda der Entente, deren Bedeutung, auch in Hinsicht auf den Kriegseintritt der USA, nicht zu unterschätzen war. Leider hatte Deutschland es versäumt, darauf mit adäquaten Mitteln zu reagieren.

Das umfangreiche Werk von Jörg Friedrich könnte eine Wende in die ideologisch beeinflusste Diskussion über die Kriegsschuldfrage Deutschlands einläuten. Historisch betrachtet ist das längst fällig.




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Veröffentlicht am 6. September 2014