Buchkritik -- Arnold Agenendt -- Toleranz und Gewalt

Umschlagfoto  --  Arnold Agenendt --  Toleranz und Gewalt Die Liste der Vorwürfe gegen das Christentum ist lang. Intoleranz durch den Anspruch die absolute Wahrheit zu besitzen, Frauen- und Leibfeindlichkeit, Kreuzzüge und die damit verbundenen Verbrechen an Moslems, die Inquisition und die daraus resultierenden Hexenverbrennungen, Antijudaismus als Vorbereitung des Holocaust. Die bisherige, von der Öffentlichkeit wahrgenommen Forschung ist sich in ihrem Urteil einig - mit dem Christentum betrat die religiös motivierte Gewalt die Weltbühne.

Entsprechen diese schwerwiegenden Vorwürfe der historischen Realität oder bedienen sie nur gängige Klischees? Der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt untersucht diese Fragestellung in seinem Buch Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Dabei kommt er zu überraschenden Ergebnissen.

Munitionieren sich die Kritiker des Christentums aus gerade diesen Vorwürfen, so unterzieht sie der Autor einer historisch-kritischen Prüfung. Vorangestellt ist eine Untersuchung über den Begriff der Toleranz und ihre geschichtliche Entwicklung. Ist der Monotheismus, dazu zählt Angenendt neben dem Christentum sowohl das Judentum als auch den Islam, verantwortlich für Intoleranz und Gewalt?

Vom Anbeginn seiner Entwicklung als Mensch hatte eben dieser Mensch als Gattungswesen auch Religion. In frühen Gesellschaften bestimmte die "Gentilreligion" über den Zusammenhalt des Stammesverbands und seine Verbindung mit der Natur und dem Universum. Der Feind, der Barbar, war jeder, der außerhalb des Clans stand. Der Toleranzgedanke konnte in dieser Zeit noch nicht entstehen. Erst der Augenblick, in dem sich der Einzelne einem einzigen Gott gegenüber stehend bewußt wird, sorgt für einen absoluten Umschwung. Das Individuum bekommt ein Bewußtsein von der ethischen Bedeutung seines Handels und damit gleichzeitig eine moralische Handlungsmaxime, welche die lokal begrenzte Stammesreligion ersetzt und einen universalen Charakter erhält.

Erst diesem Monotheismus gelingt es, dem Menschen die Erkenntnis von Transzendenz in seiner, nunmehr neuen, Beziehung zu Gott zu geben. Der Autor verschweigt jedoch nicht, daß hierin auch der Beginn einer neuen Problematik liegt, denn von nun an stellt sich die Frage, wie mit denen umzugehen ist, welche nicht an den einzigen Gott glauben.

Ausgehend von seinen Untersuchungen zum Monotheismus und der Entwicklung des Toleranzgedankens unterzieht der Autor das Christentum einer gründlichen Untersuchung auf die Vorwürfe, die gegen diese Religion erhoben werden.

Das Bild der Inquisition, die Verfolgung und Bestrafung von Häretikern, der nachgesagt wird, daß sie verantwortlich gemacht werden kann für den Tod von Millionen Menschen, wird von Angenendt gründlich korrigiert. Das überraschende Ergebnis - die Inquisition war bemüht, den Ketzerprozessen, die hauptsächlich durch weltliche Institutionen betrieben wurden, Einhalt zu gebieten. Der Autor bestreitet nicht, daß sie für Ketzerprozesse verantwortlich war, die Verfolgung von Häresie war ihre offizielle Aufgabe, doch, so Angenendt, exekutierte die Römische Inquisition weniger Häretiker als, nach dem aktuell gängigen Bild, die toleranten Städte der Niederlande.

Diese Korrekturen des historischen Bildes, welches von prominenten Kirchenkritikern gerne dargestellt wird, durchziehen das gesamte Buch. Ob Kreuzzüge, Antijudaismus, etc. Arnold Angenendt zeigt dem Leser ein differierendes Erscheinungsbild des Christentums. Sein Buch stellt nicht in erster Linie eine Apologie dieser Religion dar, das hätte sie auch nicht nötig, sondern es geht ihm in erster Linie um ein verändertes Geschichtsbild, das sich an die historischen Fakten hält. Ideologische Verblendung sollte in der Geschichtswissenschaft keinen Platz haben.

Der Autor zeigt aber auch in aller Deutlichkeit, daß es für die Kirche, bzw. das Christentum immer eine Gradwanderung gewesen ist. Nicht immer folgte diese Religion ihren eigenen ethischen Vorstellungen. Manchmal, wie zuletzt das tragische Scheitern des Protestantismus im Nationalsozialismus, verlor die Kirche ihren eigenen Weg. Angenendt weist auch auf diese Verirrungen hin, die sich durch die gesamte Geschichte des Christentums ziehen. Bestimmend für die Beurteilung sind sie jedoch nicht, da es der Kirche immer wieder gelungen ist, ihren Weg durch die sich verändernden Zeiten zu finden.

Der Autor hat ein Buch vorgelegt, welches sich ausführlich mit der gängigen Kirchenkritik auseinandersetzt. Er korrigiert das gängige Negativbild und stellt den historischen Sachverhalt richtig dar. Der Leser, sofern er dieses Buch mit Unvoreingenommenheit liest, wird auf jede Menge überraschender Details stoßen, die, zusammengenommen, ein von der vorherrschenden kirchenkritischen Meinung abweichendes Bild zeigen.




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