Buchkritik -- Aleida Assmann -- Die Wiedererfindung der Nation

Umschlagfoto, Buchkritik, Aleida Assmann, Die Wiedererfindung der Nation, InKulturA Der Begriff Nation ist für die einen, die Agenten der „Neuen Weltordnung“, die offen vom Weltwirtschaftsforum, die Bühne milliardenschwerer „Global Player“ unter Führung von Klaus Schwab forciert betrieben wird, ein rotes Tuch, das für Pawlow´sche Reflexe in Form von Schnappatmung und verbales Herzrasen sorgt.

Für andere wiederum, die auf der genau entgegengesetzten Schiene marktschreierisch vom notwendigen Wiedererstarken eines neuen Nationalismus rufen, ist die von ihren politischen Gegnern geforderte Liquidierung der Nation(en) mit dem Ziel eines globalen Dorfes namen- und identitätsloser Arbeitsbienen im Sinn des neoliberalen Finanzkapitalismus die moderne Version der Hölle.

Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte, dieser verhängnisvollen, blutigen und vom Wahnsinn geprägten zwölf Jahre vom 1933 bis 1945, ein besonders zwiespältiges Verhältnis zur Nation. Ganz Deutschland? Nein, hauptsächlich ein akademisches Biotop, das zwar sehr kommod von den produktiven Leistungen der Nation, treffender ausgedrückt, von den Steuern der arbeitenden Bevölkerung lebt, sich, pekuniär bestens versorgt, nichtsdestotrotz munter daranmacht, das „Konstrukt“ Nation zu dekonstruieren, es – vorerst – verbal abzuschaffen und anstelle dessen ein, ja was eigentlich? setzt. Etwa ein Gebilde, in dem, wie Yascha Mounk es antizipiert, die Regeln immer wieder neu ausgehandelt werden müssen?

Aleida Assmann versucht in ihrem Buch „Die Wiedererfindung der Nation“, nein, keine Ehrenrettung dieses „Konstruktes“, sondern einen Ausgleich, einen gangbaren Mittelweg zwischen einem blinden und überhöhtem Nationalismus und, so wie ich es verstehe, einer „One World Ideologie“ zu finden.

Dieser Versuch ist bestenfalls halbherzig gelungen, denn ihre Neudefinition des Begriffs zu einer sprachlich und inhaltlich nicht greifbaren „menschenfreundlichen“ oder „solidarischen“ Nation geht nicht nur an der Realität vorbei, sondern überlässt mangels klarer Definition lautstarken und gut vernetzten Einzelpersonen und Kleingruppen die Deutungshoheit dieser Wortschöpfungen.

Die Autorin zitiert ausführlich Gegner und Befürworter der Nation und rekurriert immer wieder auf Francis Fukuyama, der, als sich seine Analyse vom „Ende der Geschichte“ als etwas verfrüht herausgestellt hat, seine gesellschaftspolitische Theorie um den Begriff Thymos, das Streben der Menschen nach Anerkennung ihrer Leistung durch andere, erweitert hat.

Nun ist es jedoch gerade diese Forderung nach Akzeptanz, die, inzwischen vollkommen befreit vom Leistungsgedanken – verpönt in eher links orientierten Zirkeln – sich als Gradmesser der Unterscheidung zwischen toleranten Nationen (Deutschland, Frankreich, Italien, u. a.) und intoleranten Nationen (Polen, Ungarn, Tschechien, Russland, u.a.) erweisen soll.

Was gleichzeitig wieder direkt zurückführt zum Begriff der Nation, der, wie Aleida Assmann es ausdrückt, jetzt um den Bestandteil Diversität erweitert werden muss, um sich gegen Nationalismus zu immunisieren. Das, so die Autorin, kann nur funktionieren, wenn die eigene Geschichte, das Narrativ – dieses Wort wird im Buch überstrapaziert – der Nation um die Geschichten, die Narrative der anderen Nationen erweitert wird.

So kann man die Geschichte der USA nicht ohne die der Afroamerikaner erzählen, die Israels nicht ohne die der vertriebenen Palästinenser und die Deutschlands nicht ohne die der ehemaligen Kriegsgegner. Gerade dem verweigern sich, so Assmann, die intoleranten Nationen und sind aktuell dabei, ihr Narrativ auf nationale Mythen und Heldengedenken zu legen und sich partout der allein seligmachenden EU-Ideologie, die sich nicht erst seit dem Migrationspakt der Brüsseler Ochlokratie als Vernichter der europäischen Nationen und Wegbereiter des „Great Reset versteht, verweigern.

Man könnte aber auch genau andersherum argumentieren. Gerade weil die von der Autorin gescholtenen Nationen viele Jahrzehnte schmerzhaft den Würgegriff der kommunistischen Diktatur erleiden mussten, haben sie ein feines Gespür für das, was sich hinter den Euphemismen „menschenfreundlich“ und „solidarisch“ bezüglich einer Neudefinition der Nation versteckt: Chaos, Kriminalität und die offene Ablehnung dieser beiden Begriffe durch „Schutzsuchende“, die nicht allein durch das Betreten von Nationen, in denen politische und gesellschaftliche Freiheit herrscht, ihre „Narrative“ preisgeben und die des aufnehmenden Landes annehmen. Intoleranz hat auch eine nicht zu leugnende Schutzfunktion dem Eigenen gegenüber.

Nicht zuletzt die Coronakrise hat gezeigt, dass die Nation – mit Ausnahme Deutschlands, das sich tapfer dem Impfnationalismus entgegenstellte – als einziges politisch-gesellschaftliches „Konstrukt“ in der Lage ist, auf Bedrohungen adäquat zu reagieren. Die Nation hat noch längst nicht abgewirtschaftet, auch wenn das, gerade in Deutschland, zum Mantra des akademischen Milieus gehört.

Der von Aleida Assmann gewünschten menschenfreundlichen und solidarischen Nation steht eigentlich nichts im Weg, wenn sich denn alle (Neu)Bürger daran halten und in diesem Sinne hier leben. Wenn nicht, dann ist eine Abgrenzung zwischen „denen“ und „uns“, zwischen Freund und Feind garantiert hilfreich.

Nichts anderes fordert übrigens die von der Autorin so gescholtene AfD. Wer zu uns, zu unserer Nation gehören will, der muss nach unseren, ja unseren Regeln spielen.




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Veröffentlicht am 8. Januar 2021