Buchkritik -- Bella Bathurst -- Leuchtfeuer

Umschlagfoto  -- Bella Bathurst  --  Leuchtfeuer Wer den Namen Stevenson hört, der verbindet damit den Autor der Schatzinsel oder Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Fast niemand ist sich der Tatsache bewußt, daß der Schriftsteller einer Familie von Leuchtturmerbauer und Ingenieuren entstammt. Er, der im Familiensinn eigentlich das schwarze Schaf gewesen ist, begründete den Weltruhm des Namens Stevenson.

Bella Bathurst hat in ihrem Buch Leuchtfeuer die Familiengeschichte der Stevensons nachgezeichnet. Ihr Schwerpunkt liegt in der über Generationen hinweg ausgeübten Tätigkeit des erbauens von Leuchttürmen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war der Schiffsverkehr an den schottischen Küsten äußerst gefährlich. Stürme, Riffe, starke Strömungen und der Mangel an guten Seekarten forderten Jahr für Jahr hohe Verluste an Menschenleben und Handelswaren. Nachdem die Zahl der Schiffshavarien exorbitant zugenommen hatte, wurden Maßnahmen dagegen unternommen. Mit Hilfe der Familie Stevenson, die in den Jahren zwischen 1790 und 1940 97 Leuchttürme baute, wurde die Sicherheit des Schiffsverkehrs rund um die schottischen Küsten erhöht.

Da die Geschichte und die Bauwerke der Leuchtturm-Stevensons überaus umfangreich ist, beschränkt sich die Autorin auf die Zeit zwischen 1786 und 1890. Hier zeichnet sie ein überaus gelungenes und respektvolles Bild der ersten vier Leuchtturm-Stevensons nach. Eindringlich schildert sie den Ursprung und die Art und Weise, in der der Bau dieser Türme vonstatten ging. Von der ersten Planung über Materialbeschaffung, Auswahl der Arbeitskräft und Bauausführung lag alles in den Händen der Ingenieursfamilie Stevenson. Da es bislang keine Erfahrungen mit dem Bau von Leuchttürmen gab, betraten die Stevensons absolutes Neuland. Fleiß, Willenskraft und eine fast angeboren zu nennende Begabung für den Beruf des Ingenieurs haben die Familie Stevenson auch außerhalb der Grenzen Schottlands bekannt gemacht.

Bella Bathurst bringt auf einmalige Weise dieser Familie ihren Respekt zum Ausdruck. Die Schwierigkeiten mit denen die Konstrukteure der Leuchttürme zu kämpfen hatten, scheinen gerade aus heutiger Sicht fast unüberwindbar gewesen zu sein. Immer umgeben von Wind und Wellen, konnte an den Leuchttüme, von denen einige auf vorgelagerten Riffen gebaut wurden, nur unter Lebensgefahr gearbeitet werden. Die Bauzeit eines einzigen Turms zog sich oft über mehrere Jahre hinweg, da jeweils nur in den Sommermonaten gearbeitet werden konnten. Mehrmals vernichteten die Winterstürme das bis dahin geschaffene Werk. Die Autorin beschreibt das in zwar knappen, aber nichtsdestoweniger deutlichen Worten. Der phantasiebegabte Leser kann sich sicher ausmalen, wie die Arbeitsbedingungen gewesen sein müßen.

Dieses Buch, das fast den Charakter eines Romans besitzt, ist überaus spannend zu lesen und der Leser wird mehr als einmal dieser Familie und ihren Leistungen Respekt zollen müßen. Die Autorin hat ein wundervolles Buch über die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen geschrieben.

Bella Bathurst hat auch den Leuchtturmwärtern, den Männern, die oft mehrere Wochen und Monate dafür sorgten, daß die Lichter überhaupt brannten, ihren Respekt erwiesen. Stellvertretend dafür ein Auszug aus ihrem Buch:

Zweihundert Jahre Berufsgeschichte haben die Leuchtturmwärter zweifelsohne zu einer ganz eigenen Spezies gemacht. Die geforderten Fähigkeiten waren nicht so geartet, dass man sie leicht in einer Stellenbeschreibung hätte zusammenfassen können. Zu ihnen gehörten: Liebe zum Detail, Sinn für die endlos wiederholte Erfüllung kleiner Pflichten, ein auf Grund langer Erfahrung erworbenes Verständnis des Wassers, des Windes und der Gezeiten, eine Geisteshaltung, die dazu befähigt, langweilige Tage und böse Nächte durchzustehen. Bruce Brown, der letzte Wärter auf Duncansby Head, hält Geduld für eine unabdingbare Voraussetzung. »Da muss sowas in einem sein. Es muss ganz unbedingt da sein. Deine Lebensauffassung, über das muss alles nachgedacht werden. Nichts beunruhigt dich. Du gewöhnst dich einfach so sehr daran, dass du es gehen, dass du es dahinfließen lässt. Da ist das Harte, das Glatte, das Schlechte, das Schreckliche und das Allerschlimmste, und du nimmst es einfach alles hin.« Angus Hutchison, der Mann, dem die zweifelhafte Ehre zukommt, der allerletzte der letzten Leuchtturmwärter Schottlands zu sein (auf dem Turm Fair Isle South), glaubt, dass Humor, Gleichmut und ein tiefe Einsicht in die menschliche Fehlbarkeit das Wichtigste ist, was ein Leuchtturmwärter mitbringen muss. »Man braucht Geduld, die Fähigkeit, die eigenen Fehler wie die der andere Menschen um einen herum bereitwillig anzuerkennen, man muss Zugeständnisse machen. Die meisten von uns sind sehr gut darin, die Schwächen und Stärken der Leute zu erkennen.«
Viele der schottischen Leuchtturmwärter besaßen eine gemeinsame Eigenschaft: die große und überaus liebenswerte Fähigkeit zum Understatement. Über sechzig Meter hohe Wellen und Winde, die stark genug waren, ausgewachsene Bäume zu entwurzeln, finden sich als »ein bisschen rau da draußen« beschrieben, ein schwankender Leuchtturm ist eine »interessante Erfahrung« und ein Sturm mit Windstärke elf »eine kleine Brise«. Nicht jeder würde Spaß an einer Versetzung auf die Flannan Isles haben, nicht jeder sich glücklich preisen, einen Sturm mit Windgeschwindigkeiten von i6o Stundenkilometern erleben zu dürfen. Aber Donald Michael, der letzte Wärter auf dem Butt of Lewis, stieg beim letzten Sturm seiner Amtszeit zusammen mit seiner Frau auf die Spitze des Turms, um sich das Schauspiel noch einmal anzusehen. Eine Verständigung war natürlich unmöglich, und deshalb standen die beiden einfach nur da und lauschten dem Sturm. »Es war eine Erfahrung«, meinte Michael leichthin. »Es war absolut ergreifend, diese See dort zu beobachten.« Bei den meisten Leuchttürmen waren um die Häuser herum Geländer oder Zäune gezogen, damit der Wind niemanden über den Rand des Kliffs wehen konnte. Aber die Männer wehren das ungläubige Staunen von Fremden mit einem bescheidenen Lächeln und einem selbst verleugnenden Gemurmel ab. Die Märchen sind Sache der Zuschauer und Ausflügler. Leuchtturmwärter verspüren kein Bedürfnis, groß Geschichten zu er­zählen.
Wenn Sie die Straße nach Norden nehmen, dann fahren Sie bis zum äußersten Ende weiter, bis dorthin, wo das Land aufhört und nichts mehr ist als der weite, dunkle Horizont. Und dann fahren Sie noch ein Stück weiter. Es ist nicht sonderlich wichtig, welche Straße Sie fahren oder welche Ecke Schottlands Sie sich aussuchen. Sule Skerry, Esha Ness Ushenish, Skurdy Ness, Hyskeir, Auskerry, Ornsay, Muckle Flugga, Ruvaal, Skerryvore - irgendwo da draußen, jenseits von Jenseits, treffen Sie auf eine säuberliche, weiße Mauer, ein paar kleine Häuschen und einen Turm. Von oben gesehen, wirken sie wie Satzzeichen, die zwischen Meer und Land gesetzt wurden - eine gezackte, holprige Linie von Punkten, die das Ende der britischen Insel markieren. Oder die hellen Vierecke gleichen, wenn man sich daran erinnert, dass sie nun verlassen sind, einsamen Friedhöfen. All dies, denkt man, all diese Gebäude, die lange Geschichte und die Anstrengung, all dies nur für eine Glühbirne!

Bella Bathurst, Leuchtfeuer, Schneekluth, München, 2001, S. 316 ff.




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