Buchkritik -- Rolf Stolz -- Das Blutmeer, die Treppe aus Glas

Umschlagfoto  -- Blutmeer  --  Rolf Stolz Im Jahr 1540 machen sich drei spanische Ritter und deren Knappe auf die Suche nach den sagenumwobenen sieben Städten von Cipolla. Hier, so die Überlieferung, soll fast alles aus Gold sein. Nur die Straßen sind aus Silber und in den Rinnsteinen fließt kein Wasser, sondern Wein. Es ist eine gefährliche Reise durch unwegsame und einsame Landschaften. Nichts ist in Wirklichkeit so, wie es aussieht. Raum und Zeit verlieren ihren gewohnten Ablauf und selbst die körperliche Liebe erscheint in Gestalt einer monströsen Fratze.

Das ursprüngliche Ziel der drei Kavaliere, stolze Männer, die durch tragische Ereignisse dazu gezwungen wurden, ihr bisheriges Leben aufzugeben, waren die überseeischen Kolonien Spaniens, um dort zu Reichtum und Ruhm zu gelangen. Dieses Vorhaben endete jedoch bereits an der Grenze zu Portugal, wo ihnen die Weiterreise verboten wurde. Sie änderten ihre Route und anstatt nach Westen, dort wo in den Vorstellungen der meisten Zeitgenossen das Glück und unermessliche Schätze lagen, nach Osten, eine Richtung, in die sich kaum ein Abenteurer begab.

Mit dem Buch Das Blutmeer, die Treppe aus Glas begibt Rolf Stolz sich ein zweites Mal in den Bereich der phantastischen Literatur. Nachdem er bereits mit Das Haus auf der anderen Seite, das ebenfalls bei Edition Bärenklau veröffentlicht wurde, einen gelungenen Band vorgelegt hat, nimmt er seine Leser auch diesmal wieder mit auf eine Reise durch eine surreale Welt.

Die vier Abenteurer entwickeln sich im Lauf der Handlung zu Suchern. Nicht die materiellen Dinge, das Gold und das Silber der legendären Stadt Cipolla sind ihr eigentliches Ziel, sondern die Erlösung von ihrer individuellen Qual. Einzig dem Knappen ist es beschieden, sich nicht in den Fallstricken der Vergangenheit zu verfangen. Er erzählt die Geschichte und die Erlebnisse dieser Ritter einem vom spanischen König verfolgten Agenten. Aus der Position eines Ich-Erzählers berichtet der ehemalige Knappe seinem Zuhörer von den wundersamen Erlebnissen in seiner Jugend.

Die sieben Städte von Cipolla, ursprünglich ein Gerücht unter den spanischen Konquistadoren in Südamerika, das von den unermesslichen Reichtümern dieses Ortes spricht, werden für die drei Ritter im Verlauf ihrer Suche zu einem Symbol für die ewig unerreichbare Vollendung menschlichen Seins und für das immer wieder vom Scheitern bedrohte individuelle Schicksal.

Nicht ohne Grund ist die Sieben eine mystische und göttliche Zahl, die sowohl in der Bibel als auch in den Mysterien immer wieder vorkommt. Sie ist die Zahl der Vollendung, die Addition von Drei und Vier, die Verbindung des Geistigen und der Materie. Nur wer im täglichen Leben den Weg der Mitte in Verbindung mit dem Spirituellen beschreiten kann, wird genuin Herr über sein Leben.

Die drei Kavaliere haben tiefe seelische Wunden, deren Heilung sie von den mythischen Städten erhoffen, denn die Sieben ist auch die Zahl der geistigen Genesung und der körperlichen Wiederherstellung. Letztendlich jedoch sind sie zum Scheitern verurteilt. Nach langem und beschwerlichem Weg kurz vor dem Ziel stehend, müssen sie erkennen, dass es für sie unmöglich ist, das Ziel ihrer Sehnsucht zu betreten. Alle drei sterben bei dem Versuch, diesen mystischen Ort zu betreten. Die Erlösung wird Ihnen verwehrt.

Wer mit den bisherigen Veröffentlichungen von Rolf Stolz vertraut ist, der stellt fest, dass der Autor in diesem Band eine bislang von ihm ungewohnte sprachliche Ausdrucksform benutzt, die jedoch auf vollkommene Weise mit der erzählten Geschichte harmoniert und trotzdem sich durch die Zeitlosigkeit des Numinosen auszeichnet, hinter dem doch immer die Suche nach der Verortung des Individuums steht.

Die drei Ritter und ihr Knappe brechen Mitte des 16. Jahrhunderts zu ihrer Suche nach den mythischen sieben Städten von Cipolla auf. Trotzdem ist die Geschichte, die Rolf Stolz in seinem Buch Das Blutmeer, die Treppe aus Glas erzählt, von beklemmender Aktualität. Ist doch gerade das Individuum in einer zunehmend globalisierten Welt mehr denn je dazu gezwungen, seinen inneren Ort in einem immer ortloser werdenden Dasein zu finden.

Aber vielleicht geht es inzwischen bereits gar nicht mehr um die von den drei Kavalieren noch gesuchte Erlösung von ihrer individuellen Hölle, sondern nur noch darum, den drohenden Abgrund, der nur unzureichend von einem Firnis aus medialer Ablenkung überdeckt wird, zu vergessen. Dann allerdings wären die drei spanischen Ritter unserer Zeit weit voraus. Sie wussten um die Möglichkeit ihres Scheiterns und haben ihr Ziel trotzdem nicht aus den Augen verloren. Das ist mehr, als man von den meisten der heutigen Zeitgenossen behaupten kann.




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