Buchkritik -- Norbert Bolz -- Der alte weiße Mann

Umschlagfoto, Buchkritik, Norbert Bolz, Der alte weiße Mann, InKulturA Die westliche Welt befindet sich im Krieg. Ein Krieg, der von einer kleinen, aber lautstarken, politisch und medial bestens vernetzten Clique von selbst ernannten, aus dem akademischen Biotop stammenden Weltverbesserern erklärt wurde. Das Feindbild lautet „Alter weißer Mann“ und steht, so der ideologische Überbau der kriegführenden Partei, für „Kolonialismus, Rassismus und Sexismus“.

Nichts weniger als eine Umwertung der Werte ist das Ziel der „woken“ Kombattanten, deren verQueerte Formel, Norbert Bolz bringt es auf den Punkt, „Alt“ gleich Tradition und Erfahrung, „weiß“ gleich europäische Rationalität und technische Naturbeherrschung und „männlich“ gleich Mut, Risiko und Selbstbehauptung, lautet.

Es ist ein Angriff auf breiter Front, der gegen das, was im weitesten Sinn für Tradition, für Bewährtes und Erhaltendes geführt wird und die Errungenschaften der Aufklärung in ihr Gegenteil transformieren will. Nicht mehr die Ratio, Technik und Wissenschaft, ebenso wie gesellschaftliche und politische Freiheit, von der nicht nur die westliche Welt profitiert hat, steht im kruden System der Bolschewoken im Fokus, sondern die individuelle Befindlichkeit, die schon mal dazu führen kann, dass sich empfindliche Seelchen an bestimmten Formulierungen stören, ja geradezu eingebildet physisch darunter leiden und eine „Wohlfühlkorrektur“ – neudeutsch Cancel Culture – einfordern, um ihre zarten Gemüter vor der manchmal harten Realität zu schützen.

Es ist eine Axt, die mit gewaltigen Schlägen die Wurzeln der Gesellschaft durchtrennen will. Männlich und weiblich als eine reine Konstruktion betrachtend, überall und ausschließlich von Weißen ausgehend, Rassismus witternd, jede Form von genetisch vorgegebener Ungleichheit der Menschen als institutionelle Benachteiligung bezeichnend und, quasi als Krönung des angewandten Irrsinns, die Propagierung einer jederzeit beliebigen Wahl des Geschlechts.

Nach dem Scheitern des Vulgärmarxismus – das Proletariat wollte einfach nicht verelenden – hat das akademische Prekariat, nicht zuletzt durch den leider erfolgreichen „Marsch durch die Institutionen“ in Form des Kulturmarxismus und der damit einher gehenden Abwertung traditioneller Werte ein neues Betätigungsfeld erschlossen, das die Errungenschaften der Aufklärung – noch einmal: Tradition, Erfahrung, europäische Rationalität, technische Naturbeherrschung, Mut, Risiko und Selbstbehauptung – durch Gendergaga und kritische Weißseinsforschung (hört sich komisch an, gibt es aber wirklich) abschaffen will; vulgo die Zerstörung der modernen Welt betreibt.

Dabei erweist sich die vermeintliche, gern zur Schau gestellte Toleranz der woken Gemeinde als neue Form der Meinungsdiktatur, die jede Abweichung des vom elitären Mainstream Vorgegebenem mit militanter Intoleranz verfolgt und bei der der polit-mediale Komplex eine nicht unwesentliche Rolle spielt.

Der Zeitgeist verkörpert derzeit das, was Nietzsche fast hellseherisch als „Ressentiment der zu kurz Gekommenen“ bezeichnete. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass das moderne akademische Proletariat sich weniger durch Fleiß, Intelligenz und Wissen auszeichnet, sondern aus deren Mangel ein (Un)Tugend generiert hat und Exzellenz, die es in der Tat noch gibt, als verdächtig und zu bekämpfen einordnet.

Leider, und da kann man dem vorsichtigen Optimismus des Autors nicht folgen, ist eine Korrektur und damit eine Rettung vor dem drohenden Untergang des Westens nicht in Sicht, denn am Horizont tauchen bereits die dunklen Wolken einer neuen, diesmal globalen Diktatur auf.




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Veröffentlicht am 30. April 2023