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Buchkritik -- Can Xue -- Schattenvolk

Umschlagfoto, Buchkritik, Can Xue, Schattenvolk, InKulturA Unter dem Pseudonym Can Xue schreibt Deng Xiaohua, eine chinesische Schriftstellerin, avantgardistische und surrealistische Prosa. Ihre Werke, so auch die in diesem Band erstmalig in deutscher Übersetzung erschienenen, zwischen 1996 und 2028 veröffentlichten, sind von traumhaften und kafkaesken Elementen geprägt. Ihre Geschichten folgen oft einer nicht immer nachvollziehbaren Logik, in der Realität und Fantasie verschwimmen. Wiederkehrende Themen sind Isolation, Identität, Erinnerung und die innere Zerrissenheit des Menschen. Sie nutzt komplexe Metaphern und symbolische Bilder, um das Unbewusste und die Absurdität des Lebens darzustellen.

Can Xue wird oft mit Franz Kafka und Jorge Luis Borges verglichen, da ihr literarischer Stil Elemente beider Autoren aufgreift, jedoch in einer einzigartigen Weise neu interpretiert. Wie Kafka erkundet sie Themen wie Isolation, Entfremdung und existenzielle Unsicherheit, oft in alptraumhaften, surrealen Welten, in denen sich Figuren einer bedrohlichen und unerklärlichen Realität stellen müssen.

Gleichzeitig erinnert ihr Werk an Borges durch die Verwendung metaphysischer Motive, philosophischer Reflexionen und symbolischer Labyrinthe, die die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischen. Während Kafka eine düstere, oft absurde Bürokratie zeigt und Borges auf die Unendlichkeit des Wissens und die Mysterien der Zeit anspielt, kombiniert Can Xue diese Elemente mit chinesischer Mystik und einer tiefen Erkundung des menschlichen Bewusstseins. So entsteht ein literarisches Universum, das gleichzeitig herausfordernd und faszinierend ist, beim Leser jedoch oft Ratlosigkeit hervorruft und nicht selten die Frage aufwirft, ob hier Literatur als Selbstzweck, als Schreiben um des Schreibens willen präsentiert wird.

Nichtsdestotrotz gilt Can Xue als Anwärterin auf den Literaturnobelpreis. Vielleicht liegt es daran, dass sie in China eher eine Kultfigur der literarischen Avantgarde darstellt, und die mögliche Verleihung dieses Preises eher politische als literarische Motive beinhaltet.

„Schattenvolk“ ist eine Sammlung surrealistischer Kurzgeschichten, die die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischen. Die Erzählungen spiegeln eine chaotische und poetische Welt wider, in der physische und spirituelle Elemente verschmelzen. Charaktere sind oft Tiere oder mythische Figuren wie Ratten, Elstern und Schatten, die existenzielle Kämpfe erleben.

Die längste Erzählung dieses Bandes „Geschichten aus dem Slum“, ist eine düstere, die Isolation und Entfremdung thematisiert, dem Leser jedoch einiges an Geduld und guten Willen abverlangt. „In der Nachbarschaft von Menschen“ beschreibt nachvollziehbar das Leben aus der Perspektive eines Elstern-Paares, das mit menschlichen Nachbarn interagiert. „Sumpfgebiet“ behandelt, so eine Interpretationsmöglichkeit, eine mythische Suche nach einem schwer fassbaren Ort, der für innere Transformation steht.

„Bekenntnisse eines Weidenbaums“, um eine weitere nachvollziehbare Erzählung herauszuheben, handelt vom Überleben eines Baums und seinem nie endenden Kampf gegen seinen lebenslangen Peiniger, den Gärtner. Die Weide und ihre Gedanken über die Absichten des Gärtners hören sich realer an, als die vieler anderer menschlicher Charaktere in diesem Buch, was erneut die Frage nach dem Sinn und Zweck von Literatur aufwirft.

Can Xues Prosa, so mein Fazit, kann für Menschen, die mit chinesischer Mythologie und kulturellen Symbolen nicht vertraut sind, schwer verständlich sein, denn ihre Werke sind stark von chinesischen spirituellen Traditionen, volkstümlichen Mythen und taoistischen Konzepten wie Dualität und Transformation beeinflusst.

Sie verwendet diese Elemente jedoch nicht in ihrer klassischen Form, sondern transformiert sie in komplexe, traumartige Erzählungen, die oft ohne klare Handlung oder Auflösung auskommen und sowohl Menschen als auch Tiere, Bäume oder Schatten in einem mythischen, metaphorischen Kontext erscheinen lässt. Viele dieser Symbole sind tief in der chinesischen Kultur verwurzelt und können Lesern ohne spezifischen kulturellen Hintergrund als verschlüsselte Allegorien erscheinen. Ihre Geschichten sind weniger lineare Erzählungen als vielmehr philosophische Meditationen über Existenz, Identität und Transformation.




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Veröffentlicht am 14. Dezember 2024