Vor über 100 Jahren schrieb Josef Conrad den Roman "Almayers Luftschloß". Es ist die Geschichte eines vergeudeten Lebens. Die Titelfigur, Almayer, ist die Personifikation der am Leben scheiternden Existenz. Ohne eigene Meinung, umhergeworfen einzig durch Intrigenspiel seiner Mitmenschen, einsam in einer kaputten Beziehung, ist er, wie so oft in Conrads Romanen, eigentlich schon ein moderner Mensch.

Er ist die Vorwegnahme eines kleinkarierten Solipsismus, wie er uns heute allzuoft begegnet. Fixiert einzig auf seine egoistischen Ziele ist er doch zu schwach, um sie zu realisieren. Sein Leben besteht ausschließlich in Reaktionen auf die Aktionen von anderen Existenzen. Almeyer träumt von Reichtum und Macht und bleibt doch immer nur in seinem tropischen Dorf.

Verzweifelt versucht er, seine Träume mit Hilfe von anderen zu erfüllen. Was ihm bleibt ist immer wieder die Erkenntnis, das er betrogen wurde. Conrad gibt ein pessimistisches Bild von der Gesellschaft wieder. Alles versinkt in einem Sumpf aus Egoismus, Machtbesessenheit und Intrigen. Die einzige Person, die versucht etwas zu verändern, ihr Leben in eine andere Richtung zu bringen, ist Almayers Tochter. Sie ist die Einzige, der es gelingt das Dorf zu verlassen. Almayer bleibt zurück, physich und psychisch.

"Alles gut und schön", sagt sich der Leser. "Doch was hat das alles mit unserer Zeit zu tun?".

Eine ganze Menge, denn Almayer steht mit seiner Person für die heutige Zeit. Aus individuellen Interessen wurde ein Solipsismus, der nur sich selber kennt, der andere Personen ausschließlich in Bezug auf sich selber sieht. Lebensplanung und aktive Gestaltung der Gesellschaft wird anderen überlassen. Das leider so sehr in Mode gekommene Leben aus zweiter Hand, (Big Brother, Girl`s Camp und alle anderen wie auch immer gearteten "Reality-Shows") verdrängt das Bewußtsein von der eigenen, individuellen Verantwortung immer mehr.

Der Mensch war niemals einsamer als in unseren Tagen und noch niemals hat er seine Augen vor dieser Tatsache so sehr verschlossen wie jetzt. Der offizielle Sprachgebrauch tut sein übriges dazu, diese Tatsache zu verschleiern. Aus Begegnungen werden "Events", aus hunderttausenden konvulsich zuckenden, Drogen konsumierenden Leibern wird die "Loveparade".

Kommunikation verkommt mehr und mehr zum Austausch von beliebigen Sprachlosigkeiten. Gesprochene Sätze wimmeln nur so von Stumpfsinnigkeiten wie "Irgendwie will ich was machen, weiß aber nicht was...", "irgendwie denke ich mal...", "könnte sein, das, ich weiß auch nicht...". Alltägliche Sprachfetzen ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Inhalt.

Leben findet ausschließlich in der eigenen, armseligen Vorstellungswelt des "irgendwie", des "vielleicht", des "weiß nicht", etc. statt. Genau hier treffen wir wieder auf Almayer. Conrad erkannte schon vor über hundert Jahren den Zusammenbruch der menschlichen Kommunikation. Parallel mit dem Zusammenbruch der Kommunikation geht der Abbau der individuellen Beziehungen, welcher letztendlich im Zusammmenbrechen der Gesellschaft gipfeln wird.

Der vielgepriesene Individualismus hat sich bestenfalls längst zum Egoismus verwandelt. Werbung und Massenmedien tun ihr übriges dazu. Das Recht zum Glücklichsein wird nur den fleißigen Konsumenten zugesprochen. "Ich konsumiere, also bin ich" scheint der Spruch des 21. Jahrhunderts zu sein. Auch hier treffen wir wieder auf einen alten Bekannten, auf Almayer. Sein Streben nach Reichtum und Glück ließ er von anderen realisieren; auf seine Kosten.

Die moderne Gesellschaft ist durch Beliebigkeit und Austauschbarkeit gekennzeichnet. Ehrlichkeit und Authentizität sind scheinbar aussterbende Attribute. Doch genau so wie Almayer immer nur von seiner neuen "Behausung", die gleichfalls für eine neue Innerlichkeit steht, träumt und am Ende doch an seiner inneren Unbeweglichkeit scheitert, genauso wird die solipsistische moderne Gesellschaft zum Scheitern verurteilt sein.