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Nicht immer entpuppt sich ein sommerlicher Ausflug an die Küste als das erhoffte Idyll. Diese bittere Erkenntnis müssen Evie Cormac und Cyrus Haven im vierten Thriller der Reihe um den forensischen Psychologen und Profiler schmerzhaft machen. Am Strand von Lincolnshire werden die beiden Zeugen eines grausamen Schauspiels: Leichen von Migranten werden ans Ufer gespült, das Meer gibt seine düstere Fracht preis. Für Evie, die tief verletzte junge Frau, wird dieses Ereignis zum Auslöser eines quälenden Rückfalls. Ihre Vergangenheit, bislang verschüttet im Dunkel des Unterbewusstseins, beginnt, sich in schmerzhaften Bruchstücken zu enthüllen.
Vor mehr als einem Jahrzehnt wurde die damals elfjährige Evie aus einem versteckten Zimmer befreit, in dem sie Augenzeugin eines unvorstellbaren Verbrechens wurde: Sie sah, wie ein Mann brutal zu Tode gefoltert wurde. Niemand wusste, wer sie war, woher sie kam oder wie sie in diese schreckliche Situation geraten war. In den Jahren danach hat Cyrus Haven, der in enger Zusammenarbeit mit der Polizei steht, versucht, Evie beim Umgang mit ihrem Trauma zu unterstützen. Er war ihr eine unermüdliche Stütze, ein Fels in der Brandung ihrer inneren Zerrissenheit.
Heute, mit 22 Jahren, führt Evie ein scheinbar normales Leben. Doch die Fassade trügt: Ihre Seele trägt nach wie vor die Narben jener unheilvollen Nacht. Als sie nun, gemeinsam mit Cyrus, die angespülten Leichen am Strand entdeckt, holt die Vergangenheit sie mit unerbittlicher Macht ein. Unter den Opfern gibt es einen einzigen Überlebenden, einen verstörten Teenager, der berichtet, dass ihr Boot absichtlich gerammt und versenkt wurde. Es war kein Unglück, sondern ein kaltblütiger Mord.
Cyrus wird gebeten, bei der Aufklärung des Vorfalls mitzuwirken. Doch seine Aufgabe endet nicht bei der Suche nach den Schuldigen. Gleichzeitig versucht er, Evie dabei zu helfen, ihre verdrängten Erinnerungen zu konfrontieren. Die Ermittlungen führen die beiden schließlich nach Schottland, wo sie auf eine Mauer des Schweigens stoßen. Menschen, die mehr wissen, als sie zugeben wollen, setzen alles daran, ihre Geheimnisse zu bewahren – und schrecken dabei vor nichts zurück. Eine rätselhafte Gestalt tritt in den Fokus der Geschichte: der Fährmann. Ist er lediglich eine Legende, wie viele behaupten, oder doch die zentrale Figur, die im Verborgenen die Fäden zieht? Während Cyrus Stück für Stück der Wahrheit näherkommt, kehren bei Evie immer mehr Erinnerungen an jene düsteren Kapitel ihrer Kindheit zurück. Doch die Offenbarung dieser Wahrheiten hat einen Preis: Evie wird selbst zur Zielscheibe jener, die alles tun würden, um ihre Verbrechen zu verschleiern.
Mit „Die Totgeglaubte“ legt Michael Robotham einen Roman vor, der auf ganzer Linie überzeugt: literarisch anspruchsvoll, atmosphärisch dicht und thematisch hoch brisant. Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Cyrus und Evie, wodurch ein tiefgründiger Einblick in die Abgründe von Trauma und Heilung gewährt wird. Zugleich greift der Autor drängende gesellschaftliche Themen wie Menschenhandel, Entführung, sexuellen Missbrauch, Mord und die Flüchtlingskrise auf – und beleuchtet deren menschliche Tragweite ebenso wie die düsteren Netzwerke, die daran profitieren.
Besonders eindrucksvoll ist die narrative Struktur des Romans. Robotham verknüpft meisterhaft die zeitlichen Ebenen der Vergangenheit und Gegenwart, spielt mit doppelten Perspektiven und fügt scheinbar lose Fäden und Nebenhandlungen zu einer harmonischen, hochspannenden Erzählung zusammen. Die Auflösung der Geschichte ist ebenso befriedigend wie konsequent, alle offenen Fragen finden ihren Platz im großen Ganzen.
Dieser vierte Band um das ungewöhnliche Duo Evie und Cyrus stellt den bisherigen Höhepunkt der Serie dar. Er setzt nicht nur neue Maßstäbe innerhalb der Reihe, sondern hinterlässt den Leser mit einem Gefühl sehnsüchtiger Ungeduld – das Warten auf die Fortsetzung wird zur Qual.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 26. November 2024