Buchkritik -- Michael Dangl -- Schöne Aussicht Nr. 16

Umschlagfoto  -- Michael Dangl Ein Mann und eine Frau, beide jenseits der Lebensphase, die große Hoffnungen und Pläne hervorruft, treffen in einem Park aufeinander. Er, vordergründig misanthropisch, misstrauisch und wortkarg, ist empört darüber, dass eine Person, Sie, sehnsuchtsvoll, neugierig und mit dem Hang zum Plappern ausgestattet, in seine räumliche Privatheit, eine Bank im Park, hineinbricht.

Zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, beginnen sich langsam zu umkreisen und zu erforschen. Erst widerwillig, dann, aus taktischen Gründen mit gespielter Aufmerksamkeit, bekundet Er zögerliches Interesse an den Äußerungen der Frau, immer in der Hoffnung, sich dadurch einer lästigen Bekanntschaft entledigen zu können.

Sie, auf der Suche nach Kommunikation und einem neuen Lebenspartner, benutzt die exponierte Lage der Parkbank dazu, ihre Verabredungen im Voraus genauer in Augenschein zu nehmen. Im einem gegenüberliegenden, nicht weit entfernten Cafè, wird sie sich des Öfteren mit ihren BriefKontakten treffen. Bei diesen ErstKontakten wird Sie, die den Menschen eigentlich vorurteilsfrei begegnet, immer wieder enttäuscht. Da sucht ein BriefKontakt eher eine neue Mutter, ein anderer eine Gärtnerin oder ein weiterer eine sexuelle Gespielin.

Er, der an Schopenhauerscher Philosophie geschulte, oder soll man nicht treffender sagen, mit Schopenhauerscher Misanthropie infizierte, betrachtet die gescheiterten Kontaktaufnahmen seines weiblichen Widerparts mit zynischem Amüsement und verdrängt damit doch nur seine eigene Einsamkeit. Erst spät, zu spät, gelingt es ihm, sich der Frau gegenüber ansatzweise zu öffnen. Das, was hätte eine Beziehung werden können, scheitert an Beziehungsangst und pseudophilosophischer Verstiegenheit.

"Schöne Aussicht Nr. 16" von Michael Dangl, ist nur vordergründig ein Roman über das Scheitern von Kommunikation. Im Wesentlichen jedoch ist es großartige Prosa über das, was übrig bleibt, wenn sich ein Individuum gefangen weiß in den Stricken der Vergangenheit. Die Protagonisten dieses Zwei-Personen-Stücks haben, jeder für sich, Verluste und Enttäuschungen erlebt, die sie hinter sich zu lassen geglaubt haben, die jedoch nichtsdestoweniger ihr Leben bestimmen. Zwei Charaktere, Er, klassisch männlich, verschlossen und reserviert, und Sie, typisch weiblich, gesprächsbereit und kommunikativ, treffen aufeinander. Er und Sie, beide sind festgefahren in ihren jeweils eigenen Rollen.

"Schöne Aussicht Nr. 16" - nebenbei bemerkt, die Frankfurter Adresse Arthur Schopenhauers - ist ein melancholisches Buch über die Veränderungen einer Welt, die nicht immer einen Fortschritt bedeuten. Der Autor seziert mit pointierten Sätzen das Fragwürdige, das Merkwürdige, kurz den Wahnsinn dessen, was uns als Erfolg der Globalisierung verkauft werden soll. Er und Sie, erst spät werden daraus Herr Kleberger und Frau Elisabeth Leitgeb, leben in einer Welt, die sich mit dramatischer Geschwindigkeit verändert. Beide versuchen darauf eine Antwort zu finden. Herr Kleberger zieht sich in die Schopenhauersche Welt der Menschenflucht und Misanthropie zurück. Frau Leitgeb versucht verzweifelt, einen neuen Partner zu finden. Es ist eine einsame Welt, in der die beiden leben.

Michael Dangl hat mit "Schöne Aussicht Nr. 16" einen tief berührenden Roman über die Phase des Lebens geschrieben, in dem das Individuum schmerzhaft spürt, dass die noch zur Verfügung stehenden Möglichkeiten beschränkt sind, dass die Zukunft, dass das, was noch übrig bleibt, keine große Auswahl mehr bietet und anscheinend auch keine Überraschung mehr bereithält. Man kann, wie Herr Kleberger, sich daraufhin ins Schneckenhaus der zur Schau gestellten Enttäuschung zurückziehen, oder, wie Frau Leitgeb es versucht, die Vergangenheit mit einem neuen Partner wieder zurückzugewinnen. Beide Ansätze scheinen nicht von Erfolg gekrönt zu sein.

Das, was übrig bleibt, Michael Dangl erzählt es mit einzigartig empathischem Vermögen, ist Einsamkeit und, in diesem Fall, eine verwaiste Parkbank. "Schöne Aussicht Nr. 16" ist ein literarisches Juwel. Doch Vorsicht! Es dürfte für manche Leser sicher kein Roman für lange und einsame Novemberabende sein.




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