Buchkritik -- Kerstin Decker -- Meine Farm in Afrika

Umschlagfoto, Kerstin Decker, Meine Farm in Afrika, InKulturA Frieda von Bülow gilt, so die Literaturgeschichte, als Begründerin des deutschen Kolonialromans. Aus dem angesehenen aber verarmten Adelsgeschlecht der von Bülows stammend, schien ihr Lebensweg, wie der ihrer Zeitgenossinnen, vorgezeichnet; eine standesgemäße Heirat, Kinder und gesellschaftliche Repräsentationspflichten. Genau das wollte Frieda von Bülow jedoch nicht akzeptieren und zog 1881 nach Berlin und gründete dort den "Frauenverein für Krankenpflege in den Kolonien". Sie war eine leidenschaftliche Anhängerin des Kolonialgedankens und lebte von 1885 bis 1889 in Deutsch-Ostafrika, wo sie u. a. Krankenpflegestationen einrichtete.

Dort begegnete ihr der Mann, der auf ihr weiteres Leben einen großen Einfluss ausüben sollte. Carl Peters, Anhänger Schopenhauers und ebenfalls überzeugter Vertreter der Kolonialidee, gründete im März 1884 die "Gesellschaft für Deutsche Kolonisation“" in Berlin, in deren Auftrag, jedoch ohne politische Rückendeckung, er Gebiete in Ostafrika erwerben sollte.

Kerstin Decker hat das Leben der Frieda von Bülow in ihrem Buch "Meine Farm in Afrika" nachgezeichnet und damit dieser, für ihre Zeit ungewöhnlichen Frau ein faszinierendes Werk gewidmet. "Aus einem Mädchen muss nichts werden.", so zitiert die Autorin gleich zu Anfang des Buches Frieda von Bülow und zeigt auf den folgenden Seiten, wie sehr diese durchaus widersprüchlich agierende Frau versuchte sich dem Zeitgeist zu entziehen und ihm jedoch gleichzeitig freiwillig Folge leistete.

Einerseits war sie eine frühe Vertreterin weiblicher Emanzipation, deren Ziel die berufliche und gesellschaftliche Selbstbestimmung ihrer Geschlechtsgenossinnen war, andererseits träumte sie von einem zeitgeisttypischen unbeschwerten Leben an der Seite von Carl Peters, den sie 1885 kennenlernte.

Kerstin Decker ist es mit ihrer Biographie dieser, auch noch nach heutigen Maßstäben, ungewöhnlichen Frau gelungen, die Denkweise einer Epoche der deutschen Geschichte darzustellen, die sich anschickte, fiebrig erregt vom scheinbaren Exotismus kolonialer Erwerbungen in Afrika, mit den damaligen Besitzern von Gebieten in Afrika, Großbritannien, Frankreich und Belgien, zu konkurrieren.

Die von ihr beschriebenen Charaktere lassen vor den Augen des hoffentlich zahlreichen Lesepublikums eine Ära deutscher Geschichte Revue passieren, die, betrachtet aus der zeitlichen Distanz, mitunter skurrile Züge und für das heutige Verständnis bizarre und befremdliche Ideen und Handlungen beinhaltete.

Frieda von Bülow, das zeigt die Biographie von Kerstin Decker, war eine Frau, die ihr ganzes Leben bemüht war, den Denkschablonen ihrer Zeit zu entfliehen, ihnen jedoch gleichzeitig immer verhaftet blieb. Der Traum von einem gemeinsamen Leben mit Carl Peters ging nicht in Erfüllung und die Vorstellung von einem kolonialen Leben in Einklang mit den Einheimischen erwies sich als Produkt einer überhitzten, sich auf dem afrikanischen Kontinent neu erfinden wollenden Phantasie eines in Deutschland gescheiterten Bürgertums.

"Meine Farm in Afrika" ist zugleich Roman und Geschichtswerk oder, wie Kerstin Decker es gleich zu Beginn ihres Buches beschreibt "Dies ist ein Roman und doch keiner. Denn im Zweifelsfall ist nichts phantastischer, nichts unwahrscheinlicher als die Wirklichkeit."




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Veröffentlicht am 5. April 2015