Buchkritik -- Deutsch in der Wissenschaft

Umschlagfoto  -- Deutsch in der Wissenschaft Die Muttersprache einer Nation ist nichts weniger als identitäts- und damit auch sinnstiftend für ein Volk, ein Gemeinwesen, eine Gesellschaft. Der Verlust oder gar der freiwillige Verzicht auf die Benutzung dieser Sprache, ihre Preisgabe zugunsten einer vermeintlich besser für den globalen Austausch geeigneten Lingua franca, in diesem Fall ein anglo-amerikanisches Englisch, ist ein Zeichen der drohenden Selbstaufgabe und einer freiwilligen Demontage des nationalen und regionalen Selbstverständnisses. Wer sich daranmacht, seine Muttersprache zu verleugnen und sie durch eine andere zu ersetzen, der spielt fatal mit der Zukunft einer Nation.

Anlässlich einer Tagung der Akademie für Politische Bildung in Tutzing vom 10. bis 12. Januar 2011 wurde von einer Reihe von Fachwissenschaftlern aus so verschiedenen Bereichen wie den Natur- und Ingenieurswissenschaften, aber auch den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften über den Zustand, den Gebrauch und die Bedeutung der deutschen Sprache im internationalen Vergleich referiert.

Auf den Punkt gebracht, es ist schlecht bestellt um Deutsch in der Wissenschaft. Die neue Lingua franca, die im Beitrag von Konrad Ehrlich als Hilfssprache, als weiteres Pidgin entlarvt wird, ist das Englische - zumindest nach den Vorstellungen internationaler Verlage, die, und das grenzt an Irrsinn, sogar von Germanisten nur dann Artikel veröffentlichen, wenn sie auf Englisch geschrieben sind.

Diesem Diktat unterwerfen sich, zuvorderst in den Naturwissenschaften und auch verstärkt in den Geisteswissenschaften, anscheinend mit großem Eifer ganze Fachrichtungen und es ist nicht selten, dass an deutschen Universitäten Seminare und Vorlesungen komplett auf Englisch angeboten und durchgeführt werden.

Ist es wirklich nur das von manchen Autoren des Buches vermutete minimal internationalistische Gehabe, daran zu glauben, durch die Benutzung des Englischen als globaler Wissenschaftssprache besser reüssieren zu können oder liegt nicht vielmehr ein Fall pathologischen Selbsthasses vor. So dürfte das von Horst Bredekamp wiedergegebene Zitat eines Kommissionsmitglieds des Getty Center in Los Angeles, das mit den Worten "We do not want the language of Hitler anymore" betonte, deutschsprachige Anträge erst gar nicht zu berücksichtigen, dafür jedoch englischsprachigen, aber den Forschungsstand nicht repräsentierenden, sprich nicht auf der Höhe der Zeit sich befindenden trotzdem entsprochen wird, ein Beweis für die politische Dimension des Sprach- und Bedeutungsverlusts des Deutschen als Wissenschaftssprache sein.

Natürlich ist es für zahlreiche wissenschaftliche Bereiche von eminenter Wichtigkeit, über eine gemeinsam benutzte Sprache zu verfügen. Dadurch wird nicht nur der Informationsaustausch erleichtert, sondern das gemeinsam benutzte Vokabular sorgt ebenfalls für ein globales Verständnis. Diese gemeinsam genutzte Sprache sorgt dafür, dass sowohl der indische als auch der chinesische Wissenschaftler mit ihrem deutschen Kollegen auf dem jeweiligen Fachgebiet über einen gemeinsamen Wissenshorizont verfügen.

Die Benutzung des Englischen als Selbstzweck einer vermeintlich nur global funktionierenden wissenschaftlichen Interaktion dient, so jedenfalls noch einmal Konrad Ehrlich, eher der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen von anglo-amerikanischen Verlagen und Fachzeitschriften, als der Forschung selber.

In einem bitterbösen, mit eher unakademisch direkter Diktion, setzt sich Helmut Glück mit den Befürwortern des "English only" für die Wissenschaft auseinander. Der These eines Vittorio Hösle, die ausschließliche Verwendung der englischen Sprache erhöhe die allgemeine Mitteilbarkeit geistiger Ideen, setzt Glück die lapidare aber zutreffende Bemerkung entgegen, dass die deutschsprachige Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse deshalb auf großen internationalen Widerstand trifft, weil "... die anglophone Fachgenossenschaft zum großen Teil keine Fremdsprachen mehr kann, ..."

Wie sieht die Zukunft der deutschen Sprache im internationalen Gebrauch aus? Eher düster. Darin sind sich die Autoren und Autorinnen dieses Buches einig. Auch wenn, wie es Gisela Schneider, Thomas Brunotte und Joachim-Felix Leonhard in ihren Beiträgen über die Bemühungen von Stiftungen, Kulturinstituten und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zur Förderung der Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft berichten, dazu zahlreiche Ansätze gibt, solange es die Politik nicht für notwendig erachtet. sich dieses Themas anzunehmen, wird Deutsch als Wissenschaftssprache weiterhin ins Abseits gedrängt. Leider ist aus dieser Richtung, wie der Beitrag der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigt, nicht viel zu erwarten.




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