Buchkritik -- Brigitte Boothe (Hg) -- Die Anatomie des Wunsches

Umschlagfoto, Die Anatomie des Wunsches, InKulturA Kaum etwas kann so mächtig werden und so gravierend die Psyche eines Menschen beeinflussen wie ein Wunsch. Der Wunsch, geboren aus der Erwartung und dem Streben einen Zustand zu verbessern - bei negativen Wünschen auch die Hoffnung einem Anderen zu schaden - und ein bestimmtes Ziel zu erreichen, ist die Projektion eines zukünftigen Ereignisses, dessen wohltuende Befriedigung bereits im Hier und Jetzt zu spüren ist

Einen Wunsch zu äußern, ja ihn überhaupt erst einmal zu haben, ist eines der bestimmenden Wesensmerkmale menschlichen Seins. Wünschen ist immer ein Projekt, dessen Erfüllung in der Zukunft liegt und aus einem - vielleicht - vorerst kleinen Wunsch nach Veränderung oder Verbesserung ein wirkungsmächtiges Instrument menschlicher Aktivitätssehnsucht macht.

Wünsche gibt es in allen Facetten, gute und schleicht, realistische und unrealistische, vernünftige und unvernünftige, wobei dem Wünschenden, demjenigen, der sich aus seiner aktuellen Realität heraus- und in einen neuen, für ihn angenehmeren Zustand projiziert, diese filigranen Unterschiede nicht klar sein dürften bzw. vollkommen unerheblich sind.

Wir alle kennen die Sätze, die, geboren aus Frustration, Ratlosigkeit oder Verbitterung, mit den Worten "wenn" oder "hätte" beginnen. So ist es nur folgerichtig, wenn auch das Buch "Die Anatomie des Wunsches", herausgegeben von Brigitte Boothe, den Titel "Wenn doch nur - ach hätt ich bloß" trägt.

Auf über 500 Seiten gehen die Autoren dem Wesen des Wunsches auf die Spur. Ein breites Spektrum von Fachwissenschaftlern beschäftigt sich mit dem, so Wittgenstein, charakteristischen Erlebnis des Wünschens. Nicht nur für die Psychologie, sondern auch und gerade für Philosophie, Literatur und Theologie hat der Begriff des Wunsches eine keinesfalls zu vernachlässigende Bedeutung.

Eingeleitet wird das umfangreiche Werk mit Brigitte Boothe, die die Begriffe Verlangen, Begehren und Wünschen im diesbezügliche Kontext klärt und auf deren nicht geringe Schnittmengen hinweist.

"Wünschen hilft nichts", weil ein Fragment aus Zeiten, in denen Zauberformeln und Beschwörungsmagie zur Bewältigung des Alltags genutzt wurden, so jedenfalls Rüdiger Bittner, der jedoch ebenso konstatiert, dass auch wir Modernen gut daran täten, nicht auf diese "beschwörungslustige Zauberei des Wünschens" zu verzichten, ist sie doch Motor für Veränderungen.

Im Abschnitt "Wunschdynamik" ein überaus interessanter Beitrag von Georg Schönbächler über das "Placebo - der materialisierte Wunsch nach Heilung". Gerade im Spannungsfeld Krankheit und Heilung spielt der Genesungswunsch des Patienten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das Thema Wunscherfüllung durch Autosuggestion bedarf ohne Frage noch vertiefender Untersuchungen.

Wer, wenn nicht Hiob, der große Tragöde des Alten Testaments, der als Spielball einer schier monströsen Wette zwischen Gott und Satan in die Mühlsteine der biblischen Fehde zwischen dem Allerhöchsten und seinem ewigen Widersacher gerät, hat das Recht zu wünschen. Brigitte Boothe zeigt in ihren Artikel "Lass mich nicht allein im Elend - An wem kann sich Hiob wenden?" dass er weniger "Psychotherapie" benötigt als vielmehr die "tatkräftige Hilfe" seiner Mitmenschen.

Ohne Frage, einzelne Autoren dieses Buches besonders zu würdigen bedeutet im Gegenzug zweifelsohne eine gewisse Ungerechtigkeit gegenüber den anderen, ist doch jeder Beitrag hochkarätig und widmet sich dem Phänomen Wunsch aus der Sicht verschiedener Forschungsbereiche.

"Wenn doch nur - ach hätt ich bloß - Die Anatomie des Wunsches" gibt durch die Beiträge renommierter Fachwissenschaftler einen Überblick über den aktuellen Stand der interdisziplinären Forschung und ist auch für den wissenschaftliche Laien ohne Probleme zu lesen.




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Veröffentlicht am 16. August 2014