Umschlagfoto, Hans Fenske, Der Anfang vom Ende des alten Europa, InKulturA Die Alleinschuld Deutschlands für den Beginn des Ersten Weltkriegs ist so fest im kollektiven historischen Bewusstsein verankert, dass Zweifel daran, die immerhin durch eine vorurteilsfreie Sichtung der historischen Dokumente bestätigt werden, in der Zunft der Historiker - immerhin diejenigen, die am ehesten in der Lage sein sollten, sich mit wissenschaftlicher Redlichkeit ausschließlich um die Fakten zu kümmern - regelmäßig für Wirbel sorgen und Karrieren beenden können, bevor sie richtig begonnen haben.

Hans Fenske, geboren 1936 und von 1977 bis 2001 Professor für Neue und Neueste Geschichte in Freiburg, hat mit seiner Studie "Der Anfang vom Ende des alten Europa" dem Klischee von eben der Alleinschuld des Deutschen Reiches am Ausbruch des Weltkriegs 1914 einige markante, historisch belegbare Risse zugefügt.

Ausgehend von den Problemen auf dem Balkan - auch heute noch aufgrund politischer, ethnischer und religiöser Spannungen eine höchst instabile Region Europas - gerieten nach dem Mordanschlag auf den Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau am 28. Juni 1914 in Sarajewo, die europäischen Nationen durch eingegangene Bündnisverpflichtungen in einen fatalen politischen Automatismus, dessen treibende Kraft nicht das Deutsche Reich gewesen ist, sondern Russland. Hans Fenske formuliert es historisch korrekt: "Russland wollte 1914 den Krieg".

Dieser Krieg, den Deutschland nie angestrebt hat, änderte die europäischen Machtverhältnisse in einem Ausmaß, dessen Konsequenzen erst nach dem Vertrag von Versailles, der für das Deutsche Reich eine militärische, politische und wirtschaftliche Demütigung darstellte, sichtbar wurden und die im Endeffekt bereits den Auslöser für den Zweiten Weltkrieg beinhalteten.

Der Autor belegt in seiner Studie, dass weder von einer Alleinschuld Deutschlands am Kriegsausbruch 1914 die Rede sein kann, noch von Kriegstreiberei auf deutscher Seite. Während England die Gelegenheit nutze, um sich gegen einen wirtschaftlich immer erfolgreicher werdenden Konkurrenten zu wehren, wollte Frankreich wieder seine ehemalige europäische Vormachtstellung erlangen. Eine Ironie der Geschichte: "Made in Germany" als negative Warenkennzeichnung gedacht, führte durch eine Qualitätssteigerung deutscher Produkte zu einem Gütesiegel, dem englische Waren hinsichtlich des Preis-Leistungsverhältnis weit unterlegen waren.

Gerade in der Geschichtswissenschaft ist die Frage nach dem "was wäre gewesen wenn,...?" einerseits eine akademische Spielerei, andererseits ermöglicht sie jedoch auch interessante Überlegungen darüber, wie die Zukunft - in diesem Fall der Erfolg der NSDAP ab 1930 - sich entwickelt hätte, wäre das Deutsche Reich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs von den Siegermächten nicht zum Alleinschuldigen erklärt worden. "Der Anfang vom Ende des alten Europa" ist eine Richtigstellung der historischen Ereignisse, die zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs geführt haben. Durch, so der Untertitel "Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen" wurde der Krieg einzig mit dem Ziel verlängert, Deutschland nach dessen Ende brutale Reparationsregelungen (am 3. Oktober 2010 zahlte die Bundesrepublik die letzte Rate der im Versailler Vertrag festgelegten Verpflichtungen) aufzuzwingen zu können, die geradewegs in den nächsten Krieg führen sollten.

Europas Antlitz wäre in der Tat ein anderes geworden, hätten sich die Staaten der Entente zu einem Verständigungsfrieden bereit erklärt. Hoffentlich kommt einmal die Zeit, in der es möglich ist, die Festlegung Deutschlands als Alleinverantwortlichen für den Ausbruch des Krieges von 1914 kritisch zu hinterfragen, ohne mit den üblichen Beißreflexen der veröffentlichten Meinung konfrontiert zu werden.

Es ist einmal mehr dem Olzog Verlag zu danken, dass mit der Studie von Hans Fenske einem interessierten Publikum die historischen Fakten zur Kenntnis gebracht werden. Auch 1914 war der Beginn eines Krieges, der viele Väter hatte.




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