Buchkritik -- Marc Fochler -- Gottesbeweis oder Pivous Abstieg in die Hölle

Umschlagfoto  -- Marc Fochler  --  Gottesbeweis oder Pivous Abstieg in die Hölle Es ist an der Zeit, mal wieder die Divina Commedia, Dantes Göttliche Komödie aus dem Bücherregal zu holen und sich in die Schönheit und Eleganz ihrer Verse zu verlieren. Eines der großen Rätsel der Divina Commedia ist die Veltro-Prophezeiung im 1. Gesang des Infernos, dem ersten Teil der Commedia. An dieser Stelle macht Dantes Begleiter und Führer Vergil die orakelhafte Voraussage, dass die Menschen immer tiefer in lasterhafte Begierden versinken würden, bis eines Tages der "Veltro" kommen würde, um die Herrschaft anzutreten und die Menschen zu retten.

Marc Fochler hat in seinem Debütwerk Gottesbeweis oder Pivous Abstieg in die Hölle die Prophezeiung des Dante Alighieri dazu benutzt, um einen historischen Roman zu schreiben, der die Leser fasziniert, erschreckt und sie mitnimmt in die Zeit des langsamen Sterbens der napoleonischen Armee auf ihrem Russlandfeldzug des Jahres 1812.

Karl Pivou, ein Pariser Polizeiagent, wird mit der Untersuchung eines Mordes beauftragt, der ihn weit weg von Paris und direkt in die Katastrophe der Grande Armée in den Weiten Russlands führen soll. Bei dem Mordopfer wurde eine große Menge gefälschter Rubel in Form von Assignaten gefunden. Da bei einem Feldzug dieser Größenordnung die Versorgung der Truppen ein großes Problem darstellt, sollte diese Papierwährung dafür sorgen, dass Waren von einheimischen Händlern gekauft werden konnten, die die Assignaten wiederum in Goldwährung umtauschen konnten. Würde das Vorhandensein von Fälschungen bekannt werden, wäre die Beschaffung von Lebensmitteln nicht mehr gewährleistet.

Pivou reist hinter der sich fortbewegenden Armee hinterher, um die Mörder und Geldfälscher zu verfolgen. Mit sich führt er ein Exemplar Dantes Divina Commedia, welches er, typisch Polizist, anfänglich für spröde und unverständlich hält. Während er der Armee hinterher reist, lernt er den schillernden aber auch zwielichtigen italienischen Adeligen Christoph Di Corvo kennen. Er, ein absoluter Kenner der Göttliche Komödie, ist der Meinung, das Rätsel der Veltro-Prophezeiung gelöst zu haben.

Während der mehr gefühls- als verstandesmäßige Agnostiker Pivou, also ein typisches Kind der Französischen Revolution, sich um die zunehmenden Verwicklungen seiner Untersuchung Sorgen macht, gerät er mehr und mehr unter den Einfluss seines neuen Reisebegleiters Di Corvo. Für den ist klar, dass der Feldzug in Russland exakt mit den neun Höllenkreisen übereinstimmt. Pivous Weltbild gerät immer schneller ins Wanken, kann doch Di Corvo ihm anhand Dantes Gesängen die scheinbare Analogie zwischen der Realität und des 500 Jahre zuvor niedergeschriebenen Textes beweisen.

Marc Fochler legt einen historischen Roman vor, der sich geschickt zwischen Realität, Fiktion und den großen göttlichen Weltplan bewegt. Dante bekommt vom Jacques de Molay, dem letzten Großmeister der Templer den Auftrag, das Vermächtnis dieses Ordens in einem "unzerstörbaren Buch" zu verstecken, damit das geistige Erbe der Templer zur richtigen Zeit wiederentdeckt werden könne.

Jedem Höllenkreis ist, so versucht es Di Corvo zumindest Pivou zu erläutern, stellt eine Etappe des Krieges dar. Fochler versteht es hervorragend, diese Kreise, die er als Situationen der Ausweglosigkeit zu beschreiben versteht, seinen Lesern plastisch vor Augen zu führen. Der wird Zeuge, wie die Grande Armée das Opfer von Napoleons Größenwahn wurde. Hunger, schlechte medizinische Versorgung, unzureichende Bekleidung und der Einbruch des Winters bringen den Feldzug immer wieder zum Stillstand.

Auch Pivou und Di Corvo werden zu Opfern der widrigen Umstände. Während jedoch Pivou mit Erschrecken den Zerfall der militärischen und menschlichen Moral feststellen muss, erwecken diese Zustände das Entzücken von seinem italienischen Begleiter. Do Corvo, ein rätselhafter Mann mit ebensolchen Verbindungen berauscht sich trotz zunehmendem eigenen Kräfteverfall an der Situation, beweist sie ihm doch scheinbar die Richtigkeit seiner Theorie.

Marc Fochler verknüpft die fiktiven Erinnerungen Dantes, der in seinem Exil in Verona Heinrich VII. als Retter Italiens sah und ihn - vergeblich - als Garant seiner glorreichen Rückkehr nach Florenz betrachtete, und die auf den Tag genau 500 Jahre später stattfindenden Ereignisse des Romans. Er bietet ein Kaleidoskop der Grausamkeit des Krieges, des menschlichen Leidens daran und der individuellen Ohnmacht gegenüber den historischen Abläufen.

Während Di Corvo fest davon überzeugt ist, Teilnehmer am göttlichen Plan zu sein, sieht Pivou nur noch die Schrecken und den Wahnsinn. Er erfüllt zwar seinen Ermittlungsauftrag, doch die Welt um ihn herum verschwindet immer mehr hinter dem Irrsinn der realen Geschichte.

Beide, Di Corvo und Agent Pivou, scheitern an den Umständen. Als der Italiener fälschlicherweise glaubt, dass Napoleon getötet wurde, bricht sein Lebenswerk, die Interpretation der Veltro-Prophezeiung, zusammen und kurz vor der Flucht über die Beresina verfällt er dem Wahnsinn. Pivou, geistig und körperlich erschöpft, flüchtet sich ebenfalls in das Dunkel des ewigen Vergessens. Jeder ist in seiner persönlichen Hölle angekommen.

Marc Fochlers episches Werk Gottesbeweis oder Pivous Abstieg in die Hölle ist ein hervorragend gelungener Debütroman.




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