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Helmut Wlasak, langjähriger Strafrichter und versierter Erzähler, lässt in seinem nunmehr dritten Band über seine beruflichen Erfahrungen die Grenze zwischen Rechtsprechung und menschlichem Drama eindrucksvoll verschwimmen. Die von ihm geschilderten Fälle reichen von skurrilen Begebenheiten bis hin zu erschütternden Verbrechen – stets verortet im Spannungsfeld zwischen individueller Schuld, sozialen Umständen und juristischer Aufarbeitung.
Was zunächst wie eine Sammlung nüchterner Gerichtsprotokolle erscheinen könnte, entpuppt sich unter Wlasaks Feder als tiefgründige Studie über das Menschsein in all seinen Facetten. Seine Schilderungen eröffnen Einblicke in die Lebensgeschichten jener, die vor den Schranken der Justiz stehen und dort Rechenschaft ablegen müssen – Menschen unterschiedlicher Herkunft, sozialer Schichten und Bildungsniveaus, verbunden durch das Schicksal ihrer Taten.
Die Palette der von ihm aufgegriffenen Fälle reicht von tragikomischen Verstrickungen – wie den bizarren Missbrauchsvorwürfen einer langjährig verheirateten Frau, die sich als vermeintliche unerträgliche olfaktorische Belästigungen durch ihren Ehemann herausstellen – bis hin zu erschütternden Begegnungen mit skrupellosen Drogen-, Waffen- und Menschenhändlern. Ebenso finden naive Gutgläubigkeit und kriminelle Raffinesse in seinen Geschichten Platz, etwa wenn ein Hochstapler sich das Vertrauen seiner Opfer erschleicht, die ihm – aus welchen Gründen auch immer – bereitwillig auf den Leim gehen.
Was Wlasaks Erzählungen besonders auszeichnet, ist seine Fähigkeit, die juristisch oft spröden und rein sachbezogenen Akten zu lebendigen, vielschichtigen Erzählungen zu verdichten. Er bleibt dabei stets der Wahrheit verpflichtet, ohne die emotionale Dimension der geschilderten Schicksale aus den Augen zu verlieren. Die biografischen Hintergründe der Angeklagten werden nicht als Entschuldigung für deren Handlungen präsentiert, sondern als Erklärungsansätze, die das oft komplexe Zusammenspiel von persönlicher Verantwortung und sozialen Prägungen erhellen.
Besonders eindrücklich gestaltet sich die Darstellung des gerichtlichen Ringens um die Wahrheit – ein oft zähes Unterfangen, das in erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft mündet. Zeugen, die plötzlich an Gedächtnisverlust leiden oder spurlos verschwinden, lassen Raum für Spekulationen über mögliche Einschüchterung – Indizien, die in der Welt der Justiz jedoch noch lange keine Beweise sind.
Wlasaks besondere Stärke liegt in seiner spürbaren Empathie für die hinter den juristischen Fassaden verborgenen menschlichen Tragödien. Er zeigt, dass es nicht immer die großen Kapitalverbrechen sind, die erschüttern. Oft sind es gerade die scheinbar weniger spektakulären Fälle, die umso eindringlicher verdeutlichen, wie brüchig das Gefüge einer nach außen hin intakten bürgerlichen Existenz sein kann.
Der Autor erweist sich dabei keineswegs als Verfechter eines rigiden „Law and Order“-Denkens, sondern als einfühlsamer Chronist und Jurist, der sowohl die rechtliche Dimension als auch die menschliche Komplexität seiner Fälle erkennt und respektiert. Sein Blick ist von Verständnis geprägt, ohne dabei die notwendige juristische Distanz aufzugeben.
„Freispruch“ ist weit mehr als eine Sammlung juristischer Fallberichte. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis für das Spannungsfeld zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen individueller Schuld und gesellschaftlicher Verantwortung – ein Werk, das berührt, nachdenklich macht und die Facetten des Menschlichen in ihrer ganzen Ambivalenz beleuchtet.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 9. Dezember 2024