Buchkritik -- Gary Victor -- Der magische Pfad

Umschlagfoto, Buchkritik, Gary Victor, Der magische Pfad, InKulturA Was für eine Nacht! Ein Mann auf einer Mission. Search and Rescue im Reich der Dunkelheit, der Un- und Halbtoten, der Mysterien und Mirakel. Persée Persifal, wenn nicht der letzte ehrliche und gerechte Mensch in Haiti, so doch einer der Letzten seiner Art, wird heimtückisch ermordet. Sein Freund Sonson Pipirit will ihn, dem die Transformation in einen Zombie, ein Wesen, das nicht mehr lebt und doch nicht tot ist, droht, wieder in die Welt der Lebenden zurückbringen. Dazu muss er dem Pfad folgen, der die Untoten ihrer Bestimmung zuführt.

Das ist der Beginn eines äußerst fabelhaften Romans, eines wahrhaft beeindruckenden Epos, das Leben und Tod, Loyalität und Freundschaft, Religion und Philosophie umkreist und immer wieder auf Politik und den Zustand Haitis von seinen Anfängen bis zum heutigen Tag rekurriert. All das vermischt zu einem literarischen Cocktail, in dem sich Freaks, über- und unnatürlich Kreaturen in einem großen, immer unter Dampf stehenden Kessel tummeln, wobei eine Gestalt seltsamer und unerhörter ist als die andere.

Wo anfangen, die Vielzahl von Charakteren zu schildern, die Lebenden, die Toten und die Voodoo-Gottheiten, die, zum Glück für die Leserinnen und Leser, nacheinander auftauchen. Bawon Samedi und seine unersättliche Tochter Gede Loray, Legba, die Türöffnerin, sowie Petit-Noël Prieur, der Anführer einer Bande rebellischer Sklaven, die sich der Autorität der Generäle während der Unabhängigkeitskriege entzogen haben, der Basilisk, ein furchterregendes Riesenreptil und all die anderen nicht minder dunkel schimmernden Figuren.

Gary Victor lässt uns durch Pipirits nächtliches Abenteuer und seinen Begegnungen mit den Wesen der Nacht an der Geschichte von Haiti teilhaben. Wie ein Film ziehen Vergangenheit und Gegenwart, die mythische und politische Geschichte des Landes, die Gewalt und der Wahnsinn einer geschundenen Nation, aber auch seine Riten und seine Magie und damit all seine Schönheit und Sinnlichkeit an uns vorbei, immer auf der Suche nach der Verkörperung von Ehrlichkeit und aufrichtigem Mut, deren Träger in diesem Land, das sich allen Formen der Korruption verschrieben hat, eine immer bedrohte Spezies ist.

„Der magische Pfad“, das französische Original wurde bereits im Jahr 1997 veröffentlicht und jetzt erstmals in deutscher Übersetzung vorliegend, ist ein moderner, sich nichtsdestotrotz einer üppig barocken Sprache bedienender haitianischer Abenteuerroman, der die Leserinnen und Leser auf eine bildgewaltige Reise mitnimmt, die durchdrungen ist von haitianischen Riten und Traditionen.

Klare Leseempfehlung.




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Veröffentlicht am 1. Mai 2023